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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudyard Kipling
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umwanden die Gelenke mit kleinen Kotelettkrausen; dann banden wir beide Hände mit Bindfaden zusammen. Wir wachsten seine Schnurrbartspitzen mit Fischleim, bis er äußerst martialisch aussah.
    Wir drehten ihn auf sein Gesicht, steckten seine Frackschwänze zwischen den Schulterblättern zusammen und befestigten darunter eine Rosette aus Kotelettenkrausen. Wir holten rotes Tuch aus dem Ballsaal in den Speisesaal undumwickelten ihn damit. Es waren ungefähr sechzig Fuß roten Tuches von etwa drei Meter Breite; und er wurde zu einem ungeheuer dicken Bändel zusammengeschnürt, aus dem nur jener phantastische Kopf herausragte.
    Endlich banden wir den überflüssigen Rest roten Tuches mit Kokosnußfaser so fest, wie wir nur irgend konnten, zur Schleppe zusammen. Wir waren so wütend, daß wir kaum dabei lachten.
    Gerade als wir fertig waren, hörten wir das Rattern von Ochsenwagen, die eine Reihe von Stühlen und anderen, Sachen, die die Frau Generalin für das Fest geliehen hatte, wegholen sollten. So warfen wir Jevon wie einen Teppichballen auf einen der Vagen, und die Wagen rollten davon. Nun ist aber das Merkwürdigste an dieser ganzen Geschichte, daß ich nie wieder etwas von Jevon, dem Globetrotter, zu sehen oder zu hören bekam. Er löste sich einfach in Rauch auf. Er wurde nicht im Hause des Generals mit den Teppichen abgeliefert. Er verschwand einfach in der tiefen Finsternis der letzten Nachtstunden und wurde von ihr verschlungen. Vielleicht starb er auch und wurde in den Fluß geworfen.
    Aber lebend oder tot, wie hat er sich nur von dem roten Tuch und von der Schlagsahne befreit? Das habe ich mich inzwischen oft gefragt. Ferner habe ich mich oft fragen müssen, ob Mrs. Deemes mich je wieder in Gnaden aufnehmen wird, und ob es mir wohl gelingen wird, die infamen Gerüchte über meine Sitten und Gewohnheiten niederzukämpfen, die Jevon in der Zeit zwischen dem ersten und neunten Walzer des afghanischen Balls in Umlauf gesetzt hat? Sie haften fester als jede Schlagsahne.
    Und das ist der Grund, weshalb ich Tranters aus der Bombayer Gegend habhaft werden möchte – tot oder lebendig. Am liebsten aber tot.

Das Tor der hundert Leiden
    »So ich für einen Groschen den Himmel gewinnen kann,
willst du es mir mißgönnen?«
    Sprichwort der Opiumraucher.
    Das Folgende ist keine Arbeit von mir. Mein Freund, Gabral Misquitta, der Mischling, erzählte mir das Ganze zwischen Monduntergang und Morgen, sechs Wochen vor seinem Tode; und ich brachte es nach seinem Diktat zu Papier, während er meine Fragen beantwortete. Etwa so:
    Es liegt zwischen der Kupferschmiedgasse und dem Viertel der Pfeifenstiel Verkäufer, noch keine hundert Meter im Vogelflug von der Wasir Khan Moschee. Soviel kann ich jedem verraten, aber ich setze meinen Kopf zum Pfande, daß keiner das Tor finden wird, mag er noch so überzeugt sein, die Stadt zu kennen. Hundertmal kann man durch die nämliche Gasse gehen, ohne das Tor zu finden. Wir nannten die Gasse »die Gasse des schwarzen Rauchs«, aber der einheimische Name lautet natürlich ganz anders. Ein beladener Esel wäre außerstande, zwischen ihren Mauern hindurchzukommen; ja, an einem Punkt, kurz vor »Dem Tor«, zwingt; eine vorspringende Hausfront die Leute, sich seitwärts durchzuzwängen.
    In Wirklichkeit ist es gar kein Tor. Es ist ein Haus. Der alte Fung-Tsching war sein erster Besitzer – fünf Jahre sind es her. Er war ein Schuhmacher aus Kalkutta. Sie sagen, er hätte dort in der Trunkenheit seine Frau ermordet. Das ist auch der Grund, weshalb er auf den Bazar-Rum verzichtete und sich statt dessen dem schwarzen Rauch ergab. Später zog er nach dem Norden und eröffnete »Das Tor« als Stätte, wo man in Ruhe seinen Rauch trinken konnte. Sie müssen wissen, es war ein »Pukka« – ein anständiges Opiumhaus, und keine von den dumpfen, stickigen Höhlen, wie man sie überall in der Stadt findet. Ja, derAlte verstand sein Geschäft gründlich und war für einen Chinesen ungewöhnlich sauber. Er war einäugig – ein kleines Kerlchen, noch keine fünf Fuß hoch, und hatte beide Mittelfinger verloren. Trotzdem habe ich noch niemanden getroffen, der ihm an Geschicklichkeit beim Drehen der schwarzen Pillen gleich kam. Er schien außerdem gegen den Rauch vollkommen unempfindlich. Was er tagaus tagein darinnen leistete, grenzte ans Wunderbare. Ich bin nun schon fünf Jahre dabei und kann auch meinen Teil vertragen; aber in dieser Hinsicht war ich neben Fung-Tsching ein Kind. Trotzdem war der Alte

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