Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen
und seinem Programm zulächelte. Schon ein halber Blick genügte. Von allen Abenden des Jahres hatte er diesen langen, durstigen Abend damit begonnen, daß er zu tief ins Glas geguckt hatte! Er atmete mühsam durch die Nase, seine Augen waren ziemlich entzündet und er schien mit der ganzen Welt ungemein zufrieden. Ich sandte ein kleines Stoßgebet zum Himmel, daß das Tanzen die Wirkungen des Weines beheben möchte, und machte mich mit einem äußerst unbehaglichen Gefühldaran, meine Tanzkarte auszufüllen. Doch da sah ich Jevon auf Mrs. Deemes zusteuern, um sie zu dem ersten Walzer zu engagieren, und nun wußte ich, daß sämtliche Tänze auf dem Programm nicht genügen würden, um Jevons widerspenstige Beine zur Raison zu bringen. Das Paar machte im ganzen sechs Runden – ich habe sie gezählt. Dann ließ Mrs. Deemes Jevons Arm fallen und kam auf mich zu.
Ich will nicht wiederholen, was Mrs. Deemes mir sagte; sie war wirklich sehr böse. Ich werde auch nicht schreiben, was ich Mrs. Deemes sagte, denn ich sagte gar nichts. Ich spürte nur den einen Wunsch, Jevon erst einmal umzubringen und dann dafür gehenkt zu werden. Mrs. Deemes fuhr mit ihrem Bleistift durch sämtliche Tanznummern, für die ich mich bei ihr eingeschrieben hatte und zog ab, worauf mir einfiel, ich hätte Mrs. Deemes sagen sollen, sie selbst hätte mich gebeten, ihr Jevon vorzustellen, weil er so glänzend tanzte, und ich hätte wirklich nicht vorsätzlich und voller Raffinement ein Komplott geschmiedet, um sie zu beleidigen. Allein ich fühlte, alles Reden hatte keinen Zweck, und es war gescheiter, Jevon davor zu bewahren, daß er mich in weitere Unannehmlichkeiten hineintanzte. Jevon jedoch war verschwunden; so machte ich mich nach jedem dritten Tanz auf die Suche nach ihm, und das ruinierte natürlich den letzten Rest von Vergnügen, den ich von diesem Abend erhofft hatte.
Kurz vor dem Souper erwischte ich Jevon, wie er mit weit gespreizten Beinen vor dem Büffet stand und sich mit einer sehr dicken und ungemein empörten Mama unterhielt. »Wenn dieser Mensch Ihr Freund ist, wie ich aus seinen Reden entnehme, so kann ich Ihnen nur empfehlen, ihn nach Hause zu bringen«, sagte sie. »Er ist in anständiger Gesellschaft unmöglich.« Da wußte ich, daß derHimmel allein wußte, was Jevon alles angerichtet hatte und machte den Versuch, ihn zu entfernen.
Aber Jevon dachte gar nicht daran, zu gehen; o nein! Er wußte ganz alleine, was gut für ihn war, jawohl! Und es fiel ihm nicht ein, sich von dem ersten, besten »lokonialen« Niggeraufseher kujonieren zu lassen! Und überhaupt wäre ich der Freund, der seit frühster Jugend sein Gemüt geformt und gepflegt und ihn dazu erzogen hätte, imitierte Messingwaren aus Benares zu kaufen und den lieben Gott zu fürchten, wahrhaftig! Und wir würden noch einige verdammt gute Drinks miteinander nehmen, Himmelherrgottnocheinmal! Und sämtliche schwarzgekleidete, alte Kamelstuten der Welt würden ihn nicht von der Meinung abbringen, daß nichts über einen Benediktiner gehe, um den Appetit zu reizen. Und ... aber nein, er war ja mein Gast.
Ich setzte ihn also in einen stillen Winkel des Speisesaals und begab mich auf die Suche nach einem zuverlässigen, männlichen Mauerblümchen. Da war ein lieber, menschenfreundlicher kleiner Leutnant – der Himmel segne ihn und mache ihn zum Oberstkommandierenden! – der von meiner Verlegenheit hörte. Er selber tanzte nicht und hatte einen Schädel so unempfindlich wie ein Balken aus fünfjahraltem Teakholz. Er sagte, er würde bis zum Schluß des Balles auf Jevon aufpassen.
»Es ist Ihnen wohl gleich, was ich mit ihm anstelle?« erkundigte er sich.
»Gleich? Meinetwegen können Sie das Scheusal erwürgen!«
Aber der Leutnant erwürgte ihn nicht. Er trabte statt dessen nach dem Speisesaal und setzte sich zu Jevon, mit dem er Schnaps über Schnaps trank. Ich wartete, bis die beiden gut im Zuge waren und begab mich dann etwas erleichtert hinweg.
Als die Musik zum Essen blies, hörte ich Näheres über Jevons Aufführung zwischen dem ersten Tanz und meinem Zusammentreffen mit ihm vor dem Büffet. Nachdem Mrs. Deemes sich seiner entledigt hatte, lotste er sich, wie es scheint, nach der Galerie durch, und erbot sich, die Kapelle zu dirigieren oder jedes Instrument zu spielen, das dem Kapellmeister vorzuschlagen beliebte.
Als der Kapellmeister sich weigerte, meinte Jevon, er würde hier nicht genügend gewürdigt und begann sich nach einem mitfühlenden Herzen zu
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