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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudyard Kipling
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mischte.

Der Wahnsinn des Gemeinen Ortheris
    Meine Freunde Mulvaney und Ortheris hatten sich auf einen eintägigen Jagdausflug begeben. Learoyd lag noch im Lazarett, wo er sich von einem Fieber, das er sich in Birma zugezogen hatte, erholen sollte. Mulvaney und Ortheris sandten auch mir eine Aufforderung und waren aufrichtig gekränkt, als ich außer mir selbst noch Bier – fast genügend Bier, um den Durst zweier Linieninfanteristen zu löschen – mitbrachte.
    »Von wegen dem Bier haben wir Sie doch nich ingeladen, Herr,« meinte Mulvaney verstimmt, »sondern nur von wegen der Freude an Ihrer Gesellschaft.«
    Ortheris kam mir zu Hilfe. »Na, 's wird ihm nischt schaden, wenn er 'n bischen was zu saufen bei sich hat. Un' wir sin' auch nich' gerade Fürsten- und Grafensöhne. Wir sin' nur 'n paar gemeine Tommys, Du mißvergnügter Irländer, Du; also auf Ihr ganz Spezielles!«
    Wir jagten den ganzen Vormittag und erlegten zwei Pariaköter, vier grüne, brütende Papageienweibchen, eine Gabelweihe, eine Schlange, eine Sumpfschildkröte und acht Krähen. Der Wildbestand war wirklich reichhaltig. Dann ließen wir uns am Flußufer zum Frühstück nieder – »bei Zadder und Kommisbrot« – wie Mulvaney sagte, und schossen in den Zwischenpausen, in denen wir nicht beschäftigt waren, das Essen mit unserem einzigen Taschenmesser zu zerlegen, auf gänzlich unweidmännische Art nach Krokodilen. Danach tranken wir das ganze Bier, warfen die Flaschen ins Wasser und benutzten sie als Zielscheibe. Zuletzt lockerten wir unsere Gürtel und streckten uns zum Rauchen in dem warmen Sande aus. Wir waren zu faul, um die Jagd fortzusetzen.
    Da stieß Ortheris, der, die Brust auf die Fäuste gestützt, auf dem Bauche lag, plötzlich einen tiefen Seufzer aus. Dann fluchte er leise den blauen Himmel an.
    »Was soll 'n das heißen?« forschte Mulvaney. »Haste noch nich genug gesoffen?«
    »London, Tottenham Court Road un' 'n Mädel, an das ich gerade denken mußte. Was hat das ganze Militär überhaupt für 'n Sinn?«
    »Ortheris, mein Sohn,« entgegnete Mulvaney hastig, »ich glaube viel eher, es is' nach all dem Bier was in Deinem Bauch nich' ganz in Ordnung. Ich kenne das an mir, wenn mir die Leber so 'n bißchen einrostet.«
    Langsam, ohne auf die Unterbrechung zu achten, fuhr Ortheris fort: – »Ich bin 'n Tommy – ein verdammter, hundestehlender Tommy, mit 'nem Achtannasold un' 'ner Nummer statt 'nem anständigen Namen. Was bin ich denn schon groß? Wenn ich nun zuhause geblieben wäre, hätt ich das Mädel da heiraten un' 'nen kleinen Laden auf der Hammersmither Landstraße aufmachen können. ›S. Ortheris, Konservator und Ausstopfer‹, mit 'nem ausgestopften Fuchs im Schaufenster, wie sie 's in Haylesbury Dairies haben, un' 'nem kleinen Kasten blauer und gelber Glasaugen. Un' ich hätte dann 'nen kleines Frauchen, das immerzu ›Kundschaft‹ ruft, wenn die Ladenglocke bimmelt. Aber so bin ich nur 'n Tommy – 'n verdammter, gottverlassener, biersaufender Tommy. ›Gewehr bei Fuß – Gewehr über! Rührt Euch! – Achtung! Rechtsum – linksum – ohne Tritt marsch! Das Ganze – halt! Gewehr bei Fuß – Gewehr über! Ladet das Gewehr!‹ Das is' noch mal mein Ende.« Er zitierte Bruchstücke aus dem militärischen Begräbnisreglement.
    »Maul gehalten!« brüllte Mulvaney. »Haste erst mal so oft in die Luft gefeuert wie ich, über 'nen bessern Kerlweg als de selber bist, dann wirste Dich über das Reglement da nich' mehr lustig machen. Das is ja schlimmer als im Quartier 'nen Trauermarsch pfeifen. Wo Du obendrein den ganzen Bauch voll Bier hast un' die Sonne so hübsch kühl is. Ich muß mich für Dich schämen. Du bist ja nich' besser als so 'n hergelaufener Schwarzer – Du mit Deinem Begräbniskommando un' Deinen Glasaugen. Können Sie 's ihm nich' verbieten, Herr?«
    Was sollte ich machen? Konnte ich Ortheris auf bisher unbekannte Freuden seines Daseins hinweisen? Ich war weder der Regimentsgeistliche noch Ortheris spezieller Vorgesetzter; er hatte also ein Recht zu reden, wie ihm ums Herz war.
    »Lassen Sie ihn in Ruh, Mulvaney,« sagte ich. »Es ist nur das Bier.«
    »Nee – 's is nich' das Bier,« widersprach Mulvaney. »Ich weiß, was jetzt kommt. Von Zeit zu Zeit packt 's ihn so – 's is arg – wirklich arg – ich kann den Jungen gut leiden.«
    Tatsächlich – Mulvaney schien sich unnötig aufzuregen, aber ich wußte ja, er wachte über Ortheris wie ein Vater.
    »Laß mich nur, laß mich mein Herz

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