Schließe deine Augen
»Wie bitte?«
»Die verschwundenen Mädchen – welche Klassen haben sie besucht?«
Mit einem Seufzen machte sich Anderson wieder über seinen Stoß Papiere her. »Das, was man braucht, ist immer ganz unten.« Er durchforstete mindestens ein Dutzend Blätter, bis er auf das richtige stieß. »Okay … sieht so aus … 2009 … 2008 … 2007 … 2006. Das ist alles, 2005 keine. Die ersten Vermissten, wenn man sie so nennen will, sind aus der Abschlussklasse vom Mai 2006.«
»Alle aus den letzten vier Jahren.« Kline schien bemüht, seinem Resümee eine Bedeutung abzugewinnen.
»Na und?«, warf Blatt ein. »Was heißt das jetzt?«
»Zumindest«, antwortete Gurney, »dass die ersten Absolventinnen verschwunden sind, kurz nachdem Hector Flores aufgetaucht ist.«
53
Eine neue Wendung
Kline wandte sich an Gurney. »Das passt zu dem, was Ihnen Ashtons Assistentin erzählt hat. Sie hat doch gesagt, dass die zwei Absolventinnen, die sie nicht erreichen kann, Interesse an Flores gezeigt haben, als er auf dem Gelände von Mapleshade gearbeitet hat.«
»Stimmt.«
»Einfach unglaublich«, fuhr Kline aufgeregt fort. »Nehmen wir mal an, dass Flores der Schlüssel zu allem ist – dass wir rausfinden müssen, was ihn hergeführt hat, um die ganze Sache zu begreifen. Den Mord an Jillian Perry, den Mord an Kiki Muller, wie und warum er die Machete genau an dieser Stelle versteckt hat, warum ihn die Kamera nicht erfasst hat, das Verschwinden von wer weiß wie vielen Mapleshade-Absolventinnen …«
»Das Letzte könnte so eine Harems-Sache sein«, warf Blatt ein.
»Eine was?«
»Wie bei Charlie Manson.«
»Sie meinen, er könnte nach Anhängerinnen gesucht haben. Nach jungen Frauen, die leicht zu beeindrucken sind?«
»Nach sexbesessenen Frauen. Darum geht es doch in Mapleshade.«
Gurney warf Rodriguez einen verstohlenen Blick zu, um zu erkennen, wie er angesichts der Situation mit seiner Tochter auf Blatts Äußerung reagierte; doch falls er etwas empfand, verbarg er es hinter einer mürrischen Miene.
Klines mentaler Computer lief offenbar wieder auf Hochtouren, angeregt von der Möglichkeit, seinen eigenen Manson hinter Gitter zu bringen. Er griff Blatts Anregung auf. »Sie meinen also, dass Flores irgendwo eine kleine Kommune hat und diese Frauen dazu überredet hat, unter einem Vorwand das Elternhaus zu verlassen und dorthin zu ziehen?«
Er wandte sich dem Captain zu, schien jedoch abgeschreckt von dessen finsterem Gesicht. Also richtete er seine Frage an Hardwick. »Irgendwelche Überlegungen dazu?«
Hardwick reagierte mit einem sarkastischen Grinsen. »Ich dachte eher an Jim Jones. Charismatischer Führer mit einer Gemeinde gut gebauter Anhängerinnen.«
»Jim Jones, wer soll das sein?«, meldete sich Blatt.
Kline übernahm die Antwort. »Jonestown. Diese Massenmord-Selbstmord-Geschichte. Zyankali im Kool-Aid. Neunhundert Tote.«
»Ach ja, das Kool-Aid.« Blatt grinste. »Stimmt, Jonestown. Totaler Wahnsinn.«
Mahnend hob Hardwick den Finger. »Vorsicht vor Männern, die dich an einen Ort im Dschungel einladen, der nach ihnen benannt ist.«
Der Gesichtsausdruck des Captains erreichte Gewitterstärke.
»Dave?« Kline sah Gurney an. »Haben Sie eine Vorstellung von Flores’ großem Plan?«
»Das Problem bei der Kommunentheorie ist, dass Flores auf dem Grundstück von Ashton gewohnt hat. Wenn er diese Frauen eingesammelt und irgendwo versteckt hat, dann kann es nur in der Nähe gewesen sein. Allerdings glaube ich nicht, dass es ihm darum ging.«
»Worum dann?«
»Um das, worauf er uns selbst hingewiesen hat. ›Aus allen Gründen, die ich schrieb.‹«
»Und worauf laufen diese Gründe hinaus?«
»Auf Rache.«
»Wofür?«
»Wenn wir den Prolog von Edward Vallory ernst nehmen, dann für schweren sexuellen Missbrauch.«
Kline liebte Konflikte, und so überraschte es Gurney nicht, dass er als Nächstes Anderson um seine Meinung bat.
»Bill?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Rache läuft meistens auf einen körperlichen Angriff hinaus, Knochenbrüche, Mord. Bei all diesen sogenannten Vermisstenfällen gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt für so was.« Er lehnte sich zurück. »Nicht den geringsten Anhaltspunkt. Ich denke, wir sollten uns mehr auf Beweise stützen.« Sichtlich zufrieden mit seinem Fazit lächelte er.
Klines Blick blieb an Sergeant Wigg hängen, die wie immer in ihren Monitor vertieft war. »Robin, möchten Sie etwas hinzufügen?«
Ihre Antwort kam wie aus der Pistole
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