Schließe deine Augen
Verabredung?«
»Wie gesagt, was würde das für einen Unterschied machen?«
Eine einfache Frage und doch so schwer zu beantworten. Vielleicht weil Gurney sie stellvertretend für die größeren Fragen hörte, die Madeleine in diesen Tagen offenbar ständig durch den Kopf gingen: Werden unsere gemeinsamen Pläne je eine Rolle spielen? Wird ein Stück unseres gemeinsamen Lebens je bedeutender sein als der nächste Schritt in irgendeiner Ermittlung? Wird unser Zusammensein je mehr Gewicht haben als die kriminalistische Arbeit? Oder wird die Verbrecherjagd immer den Kern deines Lebens ausmachen?
Doch vielleicht interpretierte er einfach zu viel in eine mürrische Bemerkung hinein, in eine flüchtige Laune mitten in der Nacht. »Sag mir einfach, ob ich für morgen was ausgemacht habe, was mir entfallen ist, dann kann ich dir deine Frage beantworten.«
»Du bist immer so vernünftig.« Sie mokierte sich über seinen Ernst. »Ich geh wieder ins Bett.«
Nachdem sie verschwunden war, fühlte er sich ganz durcheinander. Er trat zu dem unbeleuchteten Sitzbereich zwischen Steinkamin und Holzofen. Die Luft roch nach kalter Asche. Er ließ sich in den dunklen Ledersessel sinken. Er war verunsichert, ohne festen Halt. Ein Mann ohne Anker.
Dann schlief er ein.
Um zwei Uhr morgens wachte er auf. Er schob sich aus dem Sessel, streckte Arme und Rücken, um die Verspannungen loszuwerden.
Seine gewohnten Gedankengänge hatten sich wieder eingestellt und anscheinend alle Zweifel über seine Pläne für den kommenden Tag beseitigt. Mit seiner Kreditkarte in der Hand setzte er sich an den Computer im Arbeitszimmer und tippte »Flüge von Albany nach Palm Beach« in die Suchzeile.
Während sein Ticket für Hin- und Rückflug zusammen mit einem Reiseführer für Palm Beach ausgedruckt wurden, stellte er sich unter die Dusche. In einer Notiz versprach er Madeleine, am Abend gegen sieben wieder zu Hause zu sein, und fünfundvierzig Minuten später war er nur mit Brieftasche, Handy und seinen Ausdrucken auf dem Weg zum Flughafen.
Während der knapp hundert Kilometer langen Fahrt auf der Route 88 führte er vier Telefongespräche. Zuerst mit einem rund um die Uhr geöffneten, hochwertigen Limousinenservice, um sich in Palm Beach von einem passenden Wagen abholen zu lassen. Als Nächstes mit Val Perry, weil er seine Absicht, ihr Geld für teure, aber notwendige Besorgungen auszugeben, dokumentieren wollte, wenn auch nur mithilfe einer in den frühen Morgenstunden hinterlassenen Mailbox-Nachricht.
Sein dritter Anruf um 4.20 Uhr galt Darryl Becker. Erstaunlicherweise meldete sich Becker und klang hellwach – oder zumindest so hellwach, wie jemand mit Singsang für nördliche Ohren klingen konnte.
»Bin gerade auf dem Sprung zum Fitnessstudio. Was gibt’s?«
»Ich habe gute Nachrichten, und Sie müssen mir einen großen Gefallen tun.«
»Wie gut und wie groß?«
»Ich hab Ballston einen schweren Haken verpasst und anscheinend eine empfindliche Stelle getroffen. Bin unterwegs zu ihm, um zu sehen, was passiert, wenn ich ihm weiter zusetze.«
»Er redet nicht mit Cops. Wie sind Sie denn zu ihm durchgedrungen?«
»Lange Geschichte, aber der Schweinehund geht schon in die Knie.« Gurney klang viel zuversichtlicher, als er es in Wirklichkeit war.
»Bin beeindruckt. Und was ist das für ein Gefallen?«
»Ich brauche zwei große Kerle, Sie wissen schon, so richtig fiese Kleiderschränke, die bei meinem Auto stehen, solange ich in Ballstons Haus bin.«
Becker klang perplex. »Haben Sie Angst, dass es geklaut wird?«
»Ich möchte eine bestimmte Wirkung erzielen.«
»Und wann soll diese Wirkung erzielt werden?«
»Heute gegen Mittag. Übrigens ist die Bezahlung ziemlich gut. Sie kriegen pro Nase fünfhundert Dollar für eine Stunde Arbeit.«
»Dafür, dass sie beim Auto stehen?«
»Dafür, dass sie beim Auto stehen und wie Mafiaschläger aussehen.«
»Für fünfhundert die Stunde lässt sich das arrangieren. Sie können sie in meinem Fitnessstudio in West Palm abholen. Ich geb Ihnen die Adresse.«
59
Tarnung
Gurneys Maschine startete planmäßig um 5.05 Uhr in Albany. In Washington erwischte er mit knapper Not den Anschlussflug und landete um 9.55 Uhr am internationalen Flughafen von Palm Beach.
Im dafür vorgesehenen Abholbereich wartete zwischen einem Dutzend anderer Chauffeure einer mit einem Schild, auf dem Gurneys Name stand.
Es war ein junger Lateinamerikaner mit hohen Wangenknochen, tintenschwarzem Haar und einem
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