Schließe deine Augen
sondern Karnala selbst.
Und was hatte Ballstons merkwürdige Versicherung am Telefon zu bedeuten, dass »alles unter Kontrolle« war? So eine Äußerung ergab keinen Sinn, wenn er Gurney für einen echten Kriminalermittler hielt. Aber vielleicht dann, wenn er in Gurney einen Vertreter von Karnala oder einer anderen gefährlichen Organisation vermutete, mit der er Geschäfte machte.
Diese Schlussfolgerung war der Grund, dass im Wagen nun die zwei wuchtigen Gestalten mit Granitgesichtern saßen, die sie vor Darryl Beckers Studio abgeholt hatten. Nachdem sie sich als Dan und Frank vorgestellt und kurz angedeutet hatten, dass sie von Becker informiert worden waren und »Bescheid wussten«, sprachen sie kein Wort mehr. Sie sahen aus wie Linebacker in einem Gefängnisfootballteam, deren Kommunikatonsverständnis sich darauf beschränkte, Hindernisse – vor allem menschliche – mit voller Geschwindigkeit niederzuwalzen.
Als die Limousine vor Ballstons Haus stoppte, wurde Gurney auf bedrückende Weise klar, dass sein Vorgehen eigentlich auf viel zu zweifelhaften Annahmen beruhte. Doch mehr hatte er nicht. Und er musste etwas tun.
Auf seine Aufforderung hin stiegen die beiden Hünen aus, und einer von ihnen öffnete ihm die Tür. Gurney warf einen Blick auf die Uhr. Viertel vor elf. Er setzte seine fünfhundert Dollar teure Giacomo-Sonnenbrille auf und stieg vor einem schnörkeligen Eisentor am Anfang einer bernsteinfarben gekiesten Einfahrt aus. Das Tor bildete die einzige Lücke in einer hohen Steinmauer, die das am Meer gelegene Gelände auf den drei Landseiten umschloss. Wie die Nachbargrundstücke an diesem Stück Luxusküste war das Anwesen von einer Sandbank mit grobem Gras, Strandhafer und Sägepalmen in einen üppigen, mit Lehm und Mulch aufgeschütteten, botanischen Garten aus Frangipani, Hibiskus, Oleander, Magnolien und Gardenien umgewandelt worden.
Für Gurney roch es wie bei der Totenwache eines Gangsters.
Während seine zwei Begleiter beim Wagen blieben und eine Aura von mühsam beherrschter Gewalt verströmten, trat er zur Sprechanlage an der Steinsäule beim Tor. Abgesehen von der Kamera in der Sprechanlage waren zu beiden Seiten der Einfahrt separate Sicherheitskameras auf Pfosten montiert – in einem Winkel, der die Fläche vor dem Tor und ein breites Stück der angrenzenden Straße abdeckte. Darüber hinaus war das Tor von mindestens einem Fenster im ersten Stock der Villa im spanischen Stil einsehbar. In dieser blumen- und laubreichen Umgebung sagte es viel über die Besessenheit des Hauseigentümers aus, dass kein einziges Blatt auf dem Boden lag.
Als Gurney auf den Klingelknopf drückte, kam sofort eine Antwort in mechanisch höflichem Ton. »Guten Morgen. Bitte geben Sie Ihren Namen und Ihr Anliegen an.«
»Sagen Sie Jordan, dass ich hier bin.«
Kurzes Zögern. »Bitte geben Sie Ihren Namen und Ihr Anliegen an.«
Gurney ließ sein Lächeln gefrieren. »Sagen Sie es ihm einfach.«
Wieder eine Pause. »Ich muss Mr Ballston einen Namen nennen.«
»Natürlich.« Gurney grinste erneut. Ihm war klar, dass er vor einer Entscheidung stand. Schnell überschlug er die Alternativen und wählte die zugleich verheißungsvollste und riskanteste.
Sein Lächeln verblasste. »Ich heiße Leck Mich.«
Mehrere Sekunden lang passierte nichts. Dann war ein gedämpftes metallisches Klicken zu hören, und das Tor schwenkte lautlos nach innen.
In all der Hektik der letzten Stunden hatte Gurney vergessen, im Internet nach Fotos von Ballston zu suchen. Doch als sich die Tür der Villa öffnete, auf die er zusteuerte, hatte er keinen Zweifel über die Identität des Mannes, der dort stand.
Er sah genauso aus, wie man sich einen kriminell dekadenten Milliardär vorstellen würde. Haare, Teint und Kleidung strahlten etwas Verhätscheltes aus; der Mund war verächtlich zusammengekniffen, als könnte die Welt seinen hohen Ansprüchen niemals genügen; in seinen Augen lauerte grausame Hemmungslosigkeit. Das leichte Beben seiner Nasenflügel deutete auf eine starke Kokainabhängigkeit. Kein Zweifel, für Jordan Ballston war nichts auf der Welt auch nur annähernd so wichtig wie die möglichst schnelle Befriedigung seiner Wünsche, ohne Rücksicht auf die möglichen Folgen für andere.
Mit kaum verhohlener Unruhe fixierte er Gurney. Seine Nase zuckte. »Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.« Als er den bewachten Mercedes vor dem Tor entdeckte, wurden seine Augen fast unmerklich größer.
Gurney zuckte die
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