Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
Vom Netzwerk:
sie mit einem zufriedenen Seufzen die Augen auf und fing an zu essen.
    Mindestens eine Minute verging, bis sie wieder redete. »Also, wie war dein Tag?« Sie musterte ein Stück Pastinake an der Spitze ihrer Gabel.
    Stirnrunzend überlegte er.
    Sie schaute ihn erwartungsvoll an.
    Schließlich stellte er die Ellbogen auf den Tisch und hakte die Finger vor dem Kinn ineinander. »Mein Tag. Na ja. Der Höhepunkt war, wie sich der Psychopath vor Kichern nicht mehr halten konnte, weil ihm was Lustiges eingefallen ist. Was Lustiges, bei dem es um zwei Frauen ging, die er vergewaltigt, gefoltert und enthauptet hat.«
    Sie presste die Lippen zusammen.
    Nach einer Weile fügte er hinzu. »Ja, so ein Tag war das heute.«
    »Hast du erreicht, was du dir vorgenommen hattest?«
    Langsam fuhr er sich mit dem Knöchel des Zeigefingers über den Mund. »Ich glaube schon.«
    »Heißt das, du hast den Fall Perry gelöst?«
    »Es ist wohl ein Teil der Lösung.«
    »Eine gute Nachricht.«
    Lange herrschte Schweigen.
    Dann stand Madeleine auf und sammelte Teller und Besteck ein. »Sie hat heute angerufen.«
    »Wer?«
    »Deine Klientin.«
    »Val Perry? Du hast mit ihr gesprochen?«
    »Sie hat gesagt, dass du sie angerufen hast, dass sie aber nur deine Festnetznummer hat und nicht die vom Handy.«
    »Und?«
    »Sie wollte dir ausrichten, dass du sie wegen dreitausend Dollar nicht extra informieren musst. ›Er kann ausgeben, so viel er will, Hauptsache, er findet Hector Flores.‹ Ein wörtliches Zitat. Klingt nach einer idealen Klientin.« Scheppernd ließ sie das Geschirr in die Spüle gleiten. »Mehr kann man sich doch gar nicht wünschen. Ach übrigens, weil wir gerade von Enthauptung reden …«
    »Was?«
    »Der Mann in Florida, der Frauen enthauptet … das hat mich daran erinnert, dass ich dich nach der Puppe fragen wollte.«
    »Welche Puppe?«
    »Die oben.«
    »Oben?«
    »Ist das ein Echospiel?«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Ich meine die Puppe auf dem Bett im Nähzimmer.«
    Kopfschüttelnd kehrte er die Hände nach außen.
    Ihre Augen flackerten beunruhigt. »Die Puppe. Die kaputte Puppe. Auf dem Bett. Du weißt nichts davon?«
    »Du meinst so eine Puppe für kleine Mädchen?«
    Ihre Stimme wurde lauter. »Ja, David! Eine Puppe für kleine Mädchen!«
    Hastig steuerte er auf die Treppe zu, und nach wenigen Sekunden stand er in der Tür des Gästezimmers, das Madeleine für Handarbeiten benutzte. Die Abenddämmerung warf nur noch einen trüben, grauen Schein über das Doppelbett. Er drückte auf den Schalter, und eine helle Bettlampe bot ihm die nötige Beleuchtung.
    An einem Kissen lehnte in sitzender Haltung eine unbekleidete Puppe, die nichts Ungewöhnliches an sich hatte bis auf die Tatsache, dass ihr Kopf nicht auf den Schultern saß, sondern einen halben Meter davor auf der Bettdecke, den Blick auf den Körper gerichtet.

62
Erschütterung
    Der Traum zerfiel, knackte und krachte wie ein brüchiger Karton, der das Verpackte nicht mehr festhalten kann.
    Jede Nacht wurde sein Säbelsieg über Salome unsicherer, unklarer. Wie früher eine Fernsehübertragung, die vom Programm einer benachbarten Frequenz gestört wurde. Ein Gewirr einander übertönender Stimmen. Bilder der tanzenden Salome wurden in hellen Blitzen von einer anderen Tänzerin durchbrochen.
    Statt der starken und tröstlichen Vision seiner Mission und seiner Methode, statt dem Mut und der Zuversicht von Johannes dem Täufer, gab es nur noch Bruchstücke von Erinnerungen – scharf aufragenden Scherben, vor denen er zurückwich. Überwältigend und niederschmetternd vertraute Momente.
    Eine tanzende Frau, deren lange Beine unter dem nach oben gerutschten Kleid zum Vorschein kommen, zeigt den kleinen Mädchen, wie sie tanzen müssen als Salome, wie sie tanzen müssen vor den kleinen Jungen.
    Salome auf einem pfirsichfarbenen Teppich zwischen tropischen Pflanzen mit riesigen, tropfend feuchten Blättern. Salome, die den Jungen Samba beibringt. Die ihnen beibringt, wie sie sie halten müssen.
    Die Schlange in ihrem Mund, die sich suchend und zuckend zwischen seine Lippen schiebt.
    Später übergab er sich, und sie lachte. Keuchend und schwitzend übergab er sich auf den pfirsichfarbenen Teppich unter den großen tropischen Pflanzen. Sein Bauch krampfte sich zusammen, und um ihn herum drehte sich die Welt.
    Sie brachte ihn in die Dusche, drückte ihre Beine an ihn.
    Auf dem pfirsichfarbenen Teppich kroch sie auf einen Jungen und ein Mädchen zu, erschöpft und

Weitere Kostenlose Bücher