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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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klargemacht werden, dass ihm mit absoluter Sicherheit eine tödliche Injektion winkt, wenn er nicht mitspielt. Und zwar sofort.«
    »Und wenn er mitspielt?«
    »Wenn er die volle Wahrheit sagt, könnte vielleicht auch ein anderer Ausgang in Betracht gezogen werden.«
    »Das wird schwierig.« Stimmel war anzumerken, dass er mit schwierig eigentlich unmöglich meinte.
    »Tatsache ist«, antwortete Gurney, »dass Ballstons Geständnis vielleicht unsere einzige Chance ist.«
    »Chance worauf?«
    »Mehrere junge Frauen sind verschwunden. Wenn wir Ballston nicht knacken, werden wir wahrscheinlich keine von ihnen mehr lebend finden.«
    Auf dem zweiten Teil des Heimflugs holten Gurney die schnell wechselnden Belastungen des Tages ein, und sein Gehirn schaltete allmählich ab. Während die Motoren wie weißes Rauschen in seinen Ohren dröhnten und seinen Bezug zur Gegenwart lösten, driftete er durch unangenehme Szenen und zusammenhanglose Momente, die ihm seit über zehn Jahren nicht mehr eingefallen waren: seine Besuche in Florida, nachdem seine Eltern von der Bronx in einen gemieteten Bungalow in Magnolia gezogen waren, eine kleine Stadt, die wie der Inbegriff von Trostlosigkeit und Verfall erschien; eine braune, mausgroße Kakerlake, die unter das verschimmelte Laub auf der Bungalow-Veranda krabbelte; Leitungswasser, das wie recycelte Jauche stank, aber nach Meinung seiner Eltern völlig geschmacklos war; die bitteren, tränenreichen Klagen seiner Mutter über ihre Ehe, über seinen Vater, über den Egoismus seines Vaters, über ihre Migräne, über ihre sexuelle Frustration.
    Verstörende Träume, dunkle Erinnerungen und zunehmende Deyhdrierung versetzten Gurney im weiteren Verlauf des Flugs in einen Zustand angespannter Depression. Gleich nach der Landung in Albany kaufte er eine Literflasche Wasser zum überhöhten Flughafenpreis und trank sie noch auf dem Weg zur Toilette halb leer. In der relativ geräumigen, für Rollstuhlfahrer ausgelegten Kabine zog er Jeans, Polohemd und Mokassins aus. Schnell nahm er seine ursprünglichen Kleider aus der Giacomo-Schachtel und schlüpfte hinein. Die schicken Klamotten stopfte er in die Schachtel und warf sie nach dem Verlassen der Kabine in einen Mülleimer. Am Waschbecken spülte er sich das Gel aus den Haaren. Nachdem er es grob mit einem Papiertuch getrocknet hatte, vergewisserte er sich mit einem Blick in den Spiegel, dass er wieder der Alte war.
    Auf der Uhr des Parkschalters war es exakt 18.00 Uhr, als er die Gebühr von zwölf Dollar entrichtete und der gelb gestreifte Schlagbaum nach oben ging. Während er den Weg zur Route 88 einschlug, schien gleißend die späte Sonne durch seine Windschutzscheibe.
    Als er die Abfahrt zur Landstraße erreichte, die durch die nördlichen Catskills nach Walnut Crossing führte, war eine Stunde vergangen, er hatte die Flasche ausgetrunken und fühlte sich wieder besser. Es überraschte ihn immer wieder, dass ihn eine einfache Sache wie Wasser so beruhigen konnte. Allmählich schritt seine emotionale Wiederherstellung voran, und als er auf die kleine Straße bog, die sich durch die Hügel hinauf zu seinem Farmhaus wand, war er schon fast wieder normal.
    Bei seiner Ankunft in der Küche nahm Madeleine gerade einen Bräter aus dem Rohr. Sie stellte ihn auf den Herd und betrachtete Gurney mit hochgezogener Augenbraue. »Das ist jetzt ein Schock.«
    »Ich freu mich auch, dich zu sehen.«
    »Möchtest du was essen?«
    »Ich hab dir doch geschrieben, dass ich rechtzeitig zum Abendessen wieder da bin, und hier bin ich.«
    »Gratuliere.« Sie nahm einen zweiten Teller aus einem Hängeschrank und stellte ihn neben den auf der Arbeitsplatte.
    Er kniff die Augen zusammen. »Vielleicht fangen wir noch mal von vorn an. Soll ich rausgehen und wieder reinkommen?«
    Sie antwortete mit einer ausgedehnten Parodie seines Blicks, dann wurden ihre Züge weicher. »Du hast recht. Du bist hier. Nimm dir Messer und Gabel raus, dann essen wir. Ich hab Hunger.«
    Sie häuften sich gebratenes Gemüse und Hähnchenschenkel auf die Teller und trugen sie zum runden Tisch an der Terrassentür.
    »Es ist bestimmt warm genug, um aufzumachen.«
    Er folgte ihrer Anregung.
    Als sie sich setzten, wehte süß duftende Luft herein. Madeleine schloss die Augen, und langsam zog ein Lächeln über ihr Gesicht. Gurney glaubte, in der Stille das leise Gurren von Tauben aus den Bäumen hinter der Wiese zu hören.
    »Herrlich, herrlich, herrlich«, flüsterte Madeleine. Dann schlug

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