Schließe deine Augen
Alles fein säuberlich auf einer DVD .«
8
Der Mordfilm
In der geräumigen Küche der Gurneys gab es zwei Esstische – die lange Shakertafel, die fast nur für festliche Diners benutzt und dann von Madeleine mit Kerzen und passenden Blumen aus dem Garten geschmückt wurde, und den sogenannten Frühstückstisch mit einer runden Kiefernplatte auf einem cremefarbenen Sockel, an dem sie einzeln oder zusammen fast alle ihre Mahlzeiten einnahmen. Dieser kleinere Tisch stand gleich vor der nach Süden blickenden Glastür. An einem klaren Tag lag er von morgens bis mittags in der Sonne und eignete sich daher besonders gut zum Lesen.
Als sie an diesem Nachmittag um halb drei in ihren Lehnstühlen saßen, blickte Madeleine plötzlich von ihrem Buch auf, einer Biografie von John Adams. Adams war ihr Lieblingspräsident – anscheinend vor allem deswegen, weil sein Rezept für die meisten emotionalen oder körperlichen Probleme ein langer, erholsamer Waldspaziergang war. Sie runzelte die Stirn. »Ich höre ein Auto.«
Obwohl Gurney die Hand ans Ohr legte, dauerte es volle zehn Sekunden, bis er das Geräusch ebenfalls registrierte. »Das ist Jack Hardwick. Anscheinend gibt es eine komplette Filmaufzeichnung von der Feier, bei der die kleine Perry getötet wurde. Er wollte das Video vorbeibringen. Ich hab ihm versprochen, dass ich es mir mal anschaue.«
Sie klappte das Buch zu und ließ den Blick durch die Glastür wandern. »Ist dir eigentlich schon in den Sinn gekommen, dass deine potenzielle Klientin vielleicht nicht ganz … normal ist?«
»Ich seh mir nur das Video an. Keine weiteren Zusagen. Übrigens kannst du es gern zusammen mit mir angucken.«
Madeleine lächelte nur kurz, ohne auf das Angebot einzugehen. »Ich würde sogar behaupten, dass sie eine bösartige Psychopathin ist, die wahrscheinlich ein halbes Dutzend Kriterien aus dem psychiatrischen Handbuch erfüllt. Und was sie dir erzählt hat, ist garantiert nicht die volle Wahrheit, nicht einmal annähernd.«
Beim Reden zupfte sie unbewusst an der Nagelhaut ihres Daumens – eine gelegentlich auftretende neue Angewohnheit, die Gurney alarmiert als eine Art Beben in ihrer ansonsten so stabilen Konstitution verbuchte.
So unwesentlich und flüchtig diese Momente auch waren, sie beunruhigten ihn und brachten das Bild ihrer absoluten Unerschütterlichkeit ins Wanken. Dann fehlte ihm auf einmal der sichere Bezugspunkt, das Nachtlicht, das die Düsternis und die Ungeheuer in Schach hielt. Merkwürdigerweise rief dieser kleine nervöse Tick die gleiche Beklemmung in ihm wach, die er als Kind empfunden hatte, als seine Mutter zu rauchen anfing und in hektischer Gier den Qualm ihrer Zigaretten in die Lunge einsog.
Reiß dich zusammen, Gurney. Werd endlich mal erwachsen.
»Aber das weißt du bestimmt schon, oder?«
Er starrte sie an und suchte vergeblich nach dem Faden der Unterhaltung, den er verloren hatte.
In gespielter Verzweiflung schüttelte sie den Kopf. »Ich bin noch eine Weile im Nähzimmer, dann muss ich zum Einkaufen nach Oneonta. Fast alle Vorräte sind aus. Wenn du was brauchst, schreib es auf die Liste auf der Anrichte.«
Hardwick kam mit einem Windstoß und einem röhrenden Auspuff angebraust. Er parkte seinen klassischen Spritfresser – einen halb restaurierten roten GTO , dem an manchen Stellen noch die Epoxidgrundierung fehlte – neben Gurneys grünem Subaru Outback. Der Wind wirbelte Blätter um die Autos.
Nachdem er ausgestiegen war, musste Hardwick zuerst einmal heftig husten; den Schleim spuckte er auf den Boden. »Den Gestank von totem Laub konnte ich noch nie leiden! Erinnert mich immer an Pferdemist.«
»Schön gesagt, Jack.« Gurney schüttelte ihm die Hand. »Es geht doch nichts über eine vornehme Ausdrucksweise.«
Wie ungleiche Buchstützen standen sie einander gegenüber. Mit dem unordentlichen Bürstenschnitt, dem roten Gesicht, der geäderten Nase und den wässrig blauen Malamutaugen wirkte Hardwick wie ein vorzeitig gealterter Mann mit einem Dauerkater. Gurneys Salz-und-Pfeffer-Haar dagegen war ordentlich gekämmt – zu ordentlich, wie Madeleine oft anmerkte – und trug entschieden zu seiner gepflegten Erscheinung bei. Mit allmorgendlichen Sit-ups vor der Dusche wahrte er seine schlanke Linie und sah deutlich jünger aus als seine achtundvierzig Jahre.
Als Gurney ihn ins Haus führte, grinste Hardwick. »Hast dich breitschlagen lassen, was?«
»Weiß nicht, was du meinst.«
»Was hat dich angemacht? Die Liebe zu
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