Schließe deine Augen
also lass ich es lieber.«
»Ich mag keine Spielchen, Jack. Warum wolltest du, dass ich den Fall übernehme? Und während du überlegst, wie du mir ausweichen kannst, hier gleich noch eine Frage: Warum ist Blatt so durch den Wind? Bin ihm gestern über den Weg gelaufen, er war ziemlich übel drauf.«
»Unwichtig.«
»Was?«
»Unwichtig. Du weißt doch von dem kleinen Sesselrücken bei uns. Reibungsverlust zwischen mir und Rodriguez wegen der Richtung der Ermittlungen. Also wurde ich abgezogen, und Blatt hat übernommen. Ehrgeiziger Sack, dabei genauso unfähig wie Captain Rod. Ich nenne ihn bloß noch den Juniorscheißer. Das ist seine Chance, sich zu bewähren und zu zeigen, wie er mit einem großen Fall klarkommt. Aber tief drinnen weiß er, dass er ein ahnungsloser kleiner Wichser ist. Und da kommst du daher – der Star aus der Großstadt, das Genie, das den Mordfall Mellery geklärt hat und so weiter. Natürlich hasst er dich. Was dachtest du denn? Aber es ist unwichtig. Er kann doch gar nichts unternehmen. Mach einfach weiter, Sherlock, und lass dir wegen Blatt keine grauen Haare wachsen.«
»Deswegen hast du mich also eingeschaltet? Damit der Juniorscheißer alt aussieht?«
»Damit die Gerechtigkeit ihren Lauf nimmt – und die Schichten einer äußerst interessanten Zwiebel abgeschält werden.«
»So schätzt du den Fall ein?«
»Du nicht?«
»Vielleicht. Würde es dich überraschen, wenn Flores mit einem fertigen Mordplan nach Tambury gekommen wäre?«
»Im Gegenteil.«
»Dann erklär mir noch mal, warum dir der Fall weggenommen wurde.«
»Hab ich doch schon gesagt …«, setzte Hardwick mit übertriebener Ungeduld an.
Gurney schnitt ihm das Wort ab. »Ja, ja. Du warst unhöflich zu Captain Rod. Wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass das nicht alles war?«
»So tickst du eben. Von Natur aus skeptisch. Du traust keinem über den Weg, Davey. Hör zu, ich muss dringend pissen. Wir reden später weiter.«
Hauptsache, der Kerl hatte seinen klugscheißerischen Abgang. In Gurney brodelte es. Er legte das Handy weg und ließ das Auto an. Über dem Tal hing noch eine dünne Wolkendecke, aber die weiße Sonnenscheibe dahinter wurde bereits heller, und die Telefonmasten warfen zarte Schatten über die verlassene Straße. Auf dem grünen Hügel schimmerte die Reihe der blauen Traktoren, die noch feucht waren vom morgendlichen Regen.
Während der zweiten Hälfte der Fahrt schossen ihm einzelne Bruchstücke des Falls durch den Kopf: Madeleines Bemerkung, dass das Hinterlassen der Machete sinnlos war; die Entscheidung eines äußerst rationalen Mannes, eine psychisch zutiefst gestörte Frau zu heiraten; Carls Modelleisenbahn, die unter dem Weihnachtsbaum ihre endlosen Schleifen zog; die Deutung der zerschossenen Teetasse anhand von Schindlers Liste ; der Sumpf krankhafter Sexualität, der die ganze Angelegenheit zu durchdringen schien.
Als er den Highway verlassen hatte und der gewundenen Schotterstraße vom Flusstal hinauf zu den Bergen folgte, fühlte er sich von seinen Gedanken völlig ausgelaugt. Im Player steckte eine CD , und um sich abzulenken, stellte er sie an. Die Stimme, die begleitet von spärlichen Akkorden einer akustischen Gitarre aus den Lautsprechern drang, hatte den jammernden Singsang eines besonders trostlosen Leonard Cohen. Der Künstler war ein traurig wirkender Folksänger in mittleren Jahren mit dem seltsamen Namen Leighton Lake, den er und Madeleine in einem Konzertsaal der Gegend erlebt hatten, weil sie ein Abonnement für die Saison erworben hatte. In der Pause hatte sie eine von Lakes CD s gekauft. Den Song mit dem Titel At the End of my Time , der gerade lief, fand Gurney besonders deprimierend.
There once was a time
when I had all the time
in the world. What a time
I had then, when I had
all the time in the world.
Lied to my lovers,
chased all the others,
left all my lovers behind,
when I had all the time
in the world.
Took what I wanted.
Never thought twice.
Had the time of my life
when I had all the time
in the world.
Lied to my lovers,
chased all the others,
left all my lovers behind,
when I had all the time
in the world.
No one’s left to lie to,
no one’s left to leave,
in this time of my life
at the end of my time
in this world.
Lied to my lovers,
chased all the others,
left all my lovers behind,
when I had all the time
in the world.
When I had all the time
in the world.
Beim letzten schmachtenden Refrain fuhr Gurney zwischen Scheune und Weiher auf das alte
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