Schloss der Engel: Roman (German Edition)
der Kapelle am See. Sie bot ihm Zuflucht – auch wenn Christopher in diesem Augenblick vielleicht nicht dort war. In sie zog er sich zurück, um allein zu sein. An diesem Ort würde ich ihn am deutlichsten spüren.
Die Fläche, auf der sich in seiner Welt die Kapelle befand, hatte sich verändert. Ein Teppich aus Maiglöckchen überwucherte die Stelle. Ich legte mich mitten in die weiße Blütenpracht, betrachtete die Sterne und ließ das betörende Aroma der zarten Blumen auf mich wirken. Hier hatte er mich in seinen Armen gehalten und mich zum ersten Mal geküsst. Die Erinnerung brachte den Schmerz zurück, und ich begrüßte ihn euphorisch.
Ich blieb die ganze Nacht und auch den nächsten Morgen, bis ich mir sicher war, ihn niemals zu vergessen.
Marisa war erleichtert, als sie mich bei der alten Steinmauer am See entdeckte. Nach einem prüfenden Blick verfinsterte sich ihre Miene, doch sie sagte kein Wort, während sie mich zurück auf mein Zimmer brachte. Erst nachdem sie mich unter die Dusche gestellt, mir meinen dicken Bademantel und eine warme Decke um die Schultern gelegt und mich mit heißer Schokolade versorgt hatte, hielt sie sich nicht länger zurück.
»Was hat dein Freund mit dir gemacht?« Ihre Stimme klang ungewohnt scharf.
»Nichts, er ...«
»Erzähl mir keine Märchen! Ich hab gestern Abend bis zur Sperrstunde in deinem Zimmer auf dich gewartet!« Marisa wurde eindringlich. »Hat er dir ... wehgetan?«
Ich schüttelte den Kopf. Langsam dämmerte mir, was sie vermutete. »Nein, das hat er nicht. Er ... er.« Tränen sammelten sich in meinen Augen. »Er hat mich verlassen«, flüsterte ich.
»Das ... das tut mir ehrlich leid.« Mitleid vertrieb Marisas Besorgnis. Tröstend schlang sie ihre Arme um meinen Hals und zog mich an sich – und ich hielt meine Tränen nicht länger zurück.
Am Montag hatte sie mich wieder so weit, dass ich die Schulbank drücken konnte. Mit viel Make-up und Lippenstift – um von meinen verheulten Augen abzulenken – kaschierte siemein Äußeres. Und obwohl die Erinnerung an Christophers Zerstörungswut meine Gedanken beherrschte, gelang es mir, den Unterricht zu überstehen. Marisa instruierte mich, welche Fächer ich hatte, und sorgte dafür, dass ich meine Hausaufgaben erledigte. Ich war dankbar für ihre Fürsorge, doch ich war nicht fähig, ihr das zu zeigen. Ich funktionierte wie eine Maschine – automatisch, ohne Anzeichen von Gefühlen. Vielleicht konnte ich so den Schmerz besser in mir halten, indem ich nichts davon nach außen dringen ließ.
Marisas Sorge wuchs. Sie bat Juliane, mit mir das Zimmer zu tauschen. Aber das wollte ich nicht. Daher riss ich mich aus meiner Starre und zwang mich, einigermaßen normal zu wirken – wenigstens bei Tag.
Sobald ich in meinem Bett lag, versuchte ich, mir Christophers Gesicht ins Gedächtnis zu rufen. Es fiel mir Tag für Tag schwerer. Gleichzeitig mit ihm verblassten auch meine Erinnerungen an die Engelswelt. Immer wenn ich glaubte, ein Stück von ihr zu sehen, verdüsterte sich das Bild. Was blieb, war dunkle Nacht. Ich begann, sie zu hassen. Sie schluckte all meine Gedanken, selbst meine Träume. Genau genommen träumte ich überhaupt nicht mehr.
Meine Freunde spürten, dass mit mir etwas nicht stimmte, und waren bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Sie schickten Marisa vor, um mich auf andere Gedanken zu bringen.
»Warum tust du dir das an? Kein Mensch auf dieser Welt ist es wert, dass du so leidest! Berühmtheit hin oder her. Wenn er auch nur einen Funken Verstand besitzen würde, hätte er dich nicht verlassen.«
»Er konnte nicht anders«, verteidigte ich Christopher.
»Wie, er konnte nicht anders? Sag bloß, du hast dich in was Adeliges verliebt und er hat dich sitzenlassen, weil du nicht standesgemäß bist.«
»So was in der Art.«
»Was?!«, rief Marisa perplex. Natürlich hatte sie ihre Theorie nicht ernst gemeint. »Und du findest dich einfach damit ab? Wir leben nicht mehr im Mittelalter! Warum kämpfst du nicht um ihn?«
»Ich hab’s versucht, aber ...«, widersprach ich matt.
Marisa fiel mir ins Wort. »Wenn er auch nur einen Hauch von dem empfindet, was du für ihn fühlst, dann gib nicht auf! Lass dich nicht von vorsintflutlichen Konventionen abschrecken. Es gab schon andere, die auf ihren Thron verzichtet haben. Und du wirst ja wohl hoffentlich nicht in einen Prinzen vernarrt sein?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, weder Prinz noch Graf.«
»Na also.« Marisa schien mit ihrer
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