Schloss der Engel: Roman (German Edition)
landen. Ich war jung, Christopher hatte recht. Mein Leben lag noch vor mir. Die Totenwächterin konnte warten. Ich hatte nicht vor, freiwillig zu sterben, solange keine Chance für mich bestand, ein Engel oder sonst etwas zu werden, das in Christophers Welt Bestand hatte. Aber ich hatte eine andere Idee.
»Es gibt einen Weg ins Schloss der Engel – auch für mich. Und ich bin ihn schon einmal gegangen«, erklärte ich.
»Du kannst nicht in meiner Welt leben. Hast du beim letzten Mal nicht aufgepasst? Deine unvollständige Seele würde binnen weniger Tage sterben – für immer!«
Ich hatte mit dieser Antwort gerechnet. Tagelang hatte ich an einer Lösung gebastelt, obwohl sie eigentlich so naheliegend war.
»Ja, wenn ich versuchen würde zu bleiben. Aber was, wenn ich nur tagsüber in deiner Welt lebe und die Nächte in meiner verbringe? Du könntest mich als mein Schutzengel begleiten und über meinen Schlaf wachen.«
Christophers Pupillen weiteten sich, doch er hatte seine Gefühle schnell wieder unter Kontrolle.
»Es würde dich deines Lebens berauben. Deiner Zukunft. Das kann ich nicht zulassen.« Seine Stimme wurde eindringlicher. »Du bist ein Mensch und sollst ein normales, unbeschwertes Leben führen. Deshalb musst du aufhören, nach meiner Welt zu suchen!«
»Und wenn ich mir gar keine normale Zukunft wünsche?«
»Es steht außerhalb meiner Befugnisse, mich in dein Leben einzumischen.«
»Hast du das nicht schon längst getan?«
Ich spürte, dass er sich meinen Argumenten verschloss.
»Es gibt nichts, was ich getan habe, das nicht revidierbar wäre.«
»Du meinst, nichts, was ich nicht vergessen würde? Wurde mir nicht schon einmal versprochen, dass ich mich an nichts mehr erinnern würde?«
»Beim nächsten Mal werde ich erfolgreicher sein«, versprach er bitter.
»Das schaffst du nicht. Niemals werde ich freiwillig auf meine Erinnerungen verzichten!« Die steile Stirnfalte zwischen Christophers jadegrünen Augen verriet, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. »Warum hilfst du mir nicht? Findest du nicht auch, dass unsere Beziehung sehr einseitig ist? Ich soll auf dich verzichten, und du darfst mich den ganzen Tag begleiten und als mein Schutzengel bei mir sein?«
Ein triumphierendes Lächeln legte sich auf Christophers Lippen, als steuere er dem gewissen Sieg entgegen. Seine Reaktion verunsicherte mich.
»Du irrst dich. Ich bin nicht dein Schutzengel.«
»Bist du nicht? Du hast mich nicht vor der Totenwächterin gerettet?«
Christophers Miene nahm einen höhnischen Zug an. »Ich sagte dir bereits, dass ich nicht dazu geeignet bin, Menschen zu beschützen.«
»Und du bist nicht in meine Gedanken eingedrungen, um mich hierherzulocken?«
Christopher schwieg für den Bruchteil einer Sekunde zu lang.
»Kannst du alle meine Gedanken lesen?«
»Nein.«
»Aber du kannst mich beeinflussen.« Ich erwartete keine Antwort, da ich fest davon überzeugt war, dass er es konnte.
»In gewisser Weise. Ich kann dir Bilder und Worte schicken, um deine Überlegungen zu erweitern, wenn du unschlüssig oder in Gefahr bist – vorausgesetzt, du lässt es zu«, schränkte er ein. »Du bist sehr schwer zu durchschauen. Nur wenn du träumst, bist du empfänglicher.«
Obwohl ich es längst geahnt hatte, machte mich sein Geständnis wütend.
»Habe ich überhaupt noch einen freien Willen, oder entscheidest du, wen ich lieben darf?« Allzu intensiv erinnerte ich mich an meine Träume mit Philippe. » Du hast sie mir geschickt, nicht wahr?«
Ich funkelte Christopher böse an. Er bestätigte meine Vermutung nicht, doch seine Antwort war eindeutig.
»Lynn, ich bin nicht gekommen, um mich zu rechtfertigen. Sobald du erkennst, dass das, was du als Liebe erachtest, eine Täuschung ist, wirst du lernen, mich zu vergessen.«
»Eine Täuschung?« Ich war außer mir. »Niemals werde ichdich vergessen. Warum sollte ich lernen, etwas zu vergessen, das ich mehr liebe als mich selbst?«
Christophers Haltung veränderte sich. Eiserne Härte lag nun in seinem Blick.
»Weil du dich belügst. Du bist meinem Zauber als Engel verfallen – einem Zauber, dem kein Mensch widerstehen kann. Aber was du fühlst, ist keine Liebe. Die Sehnsucht, etwas Unerreichbares zu besitzen, treibt dich an. Das, was du für Liebe hältst, ist eine Illusion.«
Seine Worte schlugen wie Fausthiebe auf mich ein. Er zweifelte an der Aufrichtigkeit meiner Liebe?! Spürte er denn nicht, wie unumstößlich meine Gefühle für ihn waren? Ich
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