Schloss der Engel: Roman (German Edition)
ruhiggestellt. Ich wollte mich übergeben, doch eine energische Hand hielt mich zurück.
Mein Dämmerzustand wurde von kurzen, traumlosen Schlafphasen unterbrochen. Immer wieder erwachte ich und erinnerte mich daran, dass ich den Tee loswerden wollte. Jeder weitere Versuch scheiterte, noch bevor ich ihn auswürgen konnte. Zu offensichtlich war mein Plan.
Ich konzentrierte meine Gedanken auf einen imaginären Punkt hinter meiner Stirn. Als ich den Kreis deutlich vor mir sah, spielte ich mit seiner Größe und ließ ihn in allen Regenbogenfarben erscheinen. Mit einer blitzschnellen Bewegung krümmte ich mich zusammen und erbrach meinen Mageninhalt. Wer auch immer mich dazu gezwungen hatte, den Tee bei mir zu behalten, hatte versagt.
Ich fiel erneut in einen traumlosen Schlaf – im Hinterkopf die Angst, noch einmal ein beruhigendes Getränk verabreicht zu bekommen. Aber ich war bereit, mich zu wehren.
So unerträglich der Schmerz auch war, er war das Einzige, was mir von Christopher geblieben war. Ich wollte ihn nicht betäuben oder vertreiben. Im Gegenteil, ich ließ zu, dass er in mirwütete. Doch mein Körper rebellierte, entzog sich meinen Erinnerungen und fiel in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf.
»Hallo, du Schlafmütze, es ist gleich Mittag! Zeit aufzustehen.« Marisas Stimme klang dumpf, als hätte ich Watte in den Ohren. »Puh, was stinkt denn hier so? Du solltest wirklich mal lüften. Lynn, wach endlich ... O Mann, du hast ...! Ist dir schlecht?« Marisa eilte zu mir ans Bett und betrachtete mich mitleidsvoll. »So schlimm?«
Ich bemerkte mein tränennasses Gesicht – selbst im Schlaf hatte ich geweint – und versuchte erst gar nicht, meine Gefühle zu unterdrücken. Hemmungslos schluchzte ich in mein Kissen. Marisas Hand legte sich auf meine Haare, um mich zu beruhigen. Ich zuckte unter der Berührung zusammen, und sie zog schnell ihre Finger zurück.
»Ich werd mich mal um die ... Ich geh und hol einen Lappen.«
Marisa kümmerte sich um mich: entschuldigte mich bei meinen Freunden, wimmelte Raffael ab, versorgte mich mit heißer Schokolade – jedes andere Lebensmittel verweigerte ich –, nahm mich in die Arme, um mich zu trösten, und ließ mich in Ruhe, als sie spürte, dass ich allein sein wollte.
Ich erlaubte dem Schmerz, zurückzukehren. Er ließ nicht lange auf sich warten. Mit all seiner Gewalt wütete er in mir, und ich empfing ihn beinahe dankbar. Zusammengekauert saß ich in einer Ecke meines Zimmers und durchlitt aufs Neue, wie der Spiegel zerbarst und mit ihm meine Liebe – nur, dass Christopher dieses Mal einen Dolch in seinen Händen hielt. Mit grimmiger Entschlossenheit malträtierte er mein Herz, wobei ich den Zorn des Racheengels in seinen Augen erkannte. Härte und Grausamkeit hatten von ihm Besitz ergriffen. Ich flehte ihn an aufzuhören, aber er antwortete nur mit einem selbstgefälligen Lächeln.
Habe ich dich nicht gewarnt, dass du von einem Racheengel keineLiebe erwarten kannst? Erkennst du jetzt endlich mein wahres Wesen?
Das habe ich – schon lange, antwortete ich. Und wenn es das ist, was ich erdulden muss, um dich lieben zu dürfen, dann heiße ich den Schmerz willkommen.
Ich erstickte meinen Schrei zu einem leisen Wimmern. Wieder und wieder spürte ich die Stiche tief in meinem Inneren, doch ich ertrug die Qual bis zu meiner körperlichen Grenze. Kurz bevor der ohnmachtsähnliche Schlaf mich erlöste, spürte ich es: Christophers Wesen, dessen Berührung ich zum ersten Mal vor dem Spiegel wahrgenommen hatte, hüllte mich ein, durchdrang jede Faser meines Körpers, jeden einzelnen Gedanken und erfüllte mich mit unendlicher Zuneigung – für diesen Moment lohnte es sich, den Schmerz zu ertragen.
Als ich wieder zu mir kam, war die Traurigkeit verschwunden, aber ich wusste, dass sie wiederkehren würde. Ich wartete geduldig, holte die Bilder aus meinem Gedächtnis und öffnete mich meinen Gefühlen. Es tat weh, doch aus dem brennenden Inferno war ein wärmendes Lagerfeuer geworden, dem ein stilles Nichts folgte.
Wut brandete in mir hoch. Christopher hatte das verursacht! Er hatte meinen Schmerz gezähmt! Genügte es ihm nicht, mir das Herz zu brechen? Wollte er mir nun auch noch die letzte Erinnerung an ihn stehlen? Das Einzige, was mir von ihm geblieben war?!
Niemals würde ich das zulassen!
Am Abend verließ ich das Schloss. In der kühlen Luft hing der schwere Duft von Frühlingsblumen. Ich entzog mich der reichhaltigen Fülle und lief meinem Ziel entgegen:
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