Schloss der Engel: Roman (German Edition)
Argumentation zufrieden. »Liebt er dich?«
»Das ... das weiß ich nicht«, flüsterte ich und blinzelte meine aufsteigenden Tränen fort.
»Dann würde ich an deiner Stelle darüber nachdenken, ob es sich lohnt, für ihn zu leiden. Und wenn du zu dem Schluss kommst, dass auch nur die leiseste Möglichkeit besteht, dass er dich liebt, dann hol ihn dir zurück!«
Marisas Frage quälte mich. Liebte Christopher mich? Einen einfachen, sterblichen Menschen, dessen unreife Seele er für nicht stark genug hielt, um einen Engel zu lieben? Christopher, der von sich behauptete, keine Liebe empfinden zu können?
Je länger ich darüber nachgrübelte, umso klarer schien mir die Antwort. Auch wenn Christopher es nicht zugeben wollte, er hatte mich beschützt. Er war an meiner Seite geblieben, nachdem er mich der Totenwächterin übergeben hatte. Warum sollte er das tun, wenn ihm nichts an mir lag, zumal er kein Schutzengel war?
Und dann die Begegnung im Spiegel. Warum hatte er mich zu sich gerufen, wenn ich ihm egal war? Hatte er den Spiegel zerstört, weil er fürchtete, ich könnte in seiner Welt meine Seele verlieren? Hatte er mir den Zugang zum Schloss der Engelversperrt und mich von sich gestoßen, in der Hoffnung, ich würde ihn vergessen?
Und danach? Konnte er es nicht ertragen, mich leiden zu sehen, und hatte mich deshalb mit seinem Wesen berührt, um mich zu trösten? Warum sollte er das tun, wenn er nur noch Hass und Zerstörung kannte? Er hätte sich an meinem Leid erfreuen müssen wie die Totenwächterin.
Vor dem Spiegel hatte ich ihn gedrängt, mir ins Gesicht zu sagen, dass er mich nicht liebte – aber er konnte es nicht! Geschickt war er meiner Frage ausgewichen. Er fürchtete sich vor seinen Gefühlen. Wie konnte er auf Liebe hoffen, nachdem er alles verloren hatte? Er, ein Racheengel, geboren für den Kampf und die Vergeltung?
Ich klammerte mich an den Gedanken, dass Christopher mich liebte. Es gab eine Zukunft – auch für uns. Doch ich wusste, dass mein Wunsch sich erst erfüllen würde, wenn Christopher seine Gefühle akzeptierte und daran glaubte, dass ich stark genug war, um an seiner Seite zu bestehen – falls er das überhaupt konnte.
Als Raffael mich am Tag darauf fragte, ob ich mit ihm bei der Abschlussveranstaltung tanzen möchte, stimmte ich zu, obwohl ich ahnte, wie sauer Juliane reagieren würde. Dass Christopher etwas dagegen hatte, bezweifelte ich – dass er trotzdem eifersüchtig war, hoffte ich.
Raffael war quasi aus dem Nichts aufgetaucht, nachdem ich aus der Engelswelt geworfen wurde. Abgesehen davon, dass er wusste, wie er mich aufmuntern konnte, war er immer dann erschienen, wenn ich Christopher zu nahe kam. Zu viele Zufälle für meinen Geschmack. Christopher musste ihn geschickt haben, um mich abzulenken .
Mein Gewissen plagte mich: Hätte Raffael es geschafft, dass ich mich in ihn verliebte? Ich fand ihn nett, sehr nett sogar. Vielleicht hatte er mich auch ein wenig bezaubert – bevor ich mich wieder an Christopher erinnern konnte. Galt das schon alsTreuebruch? Aron hätte das sicher so gesehen – aber was kümmerte mich Aron?!
Außerdem war ich als Raffaels Partnerin die ideale Lösung. Ich wollte nichts von ihm – im Gegensatz zu Hannah. Und ein Abschlussball, bei dem ihr und Raffaels Körper miteinander verschmolzen, hätte nicht nur für Juliane traumatische Folgen nach sich gezogen. Ganz nebenbei saßen Juliane und ich zusammen, und nach den drei Pflichtrunden mit mir würde Raffael bestimmt auch die anderen Mädchen an meinem Tisch zum Tanzen auffordern. Ich musste es irgendwie hinbekommen, dass er zwischen uns beiden saß. Möglicherweise würde dann auch bei ihm der Funke überspringen.
Juliane war äußerst schweigsam, als sie erfuhr, dass ich mit Raffael tanzen würde. Hannah hingegen verbarg ihren Ärger nicht. Bei jeder Gelegenheit riss sie Witze auf meine Kosten, schwärzte mich bei meinen Lehrern an, ließ meine Hausarbeiten verschwinden oder schickte mir gefakte Nachrichten, weshalb ich zweimal zu spät zum Unterricht kam. Davon abgesehen kleckerte sie ganz aus Versehen heißen Kaffee auf mein weißes T-Shirt und amüsierte sich prächtig über das Missgeschick.
Ich versuchte, es gelassen zu nehmen. Erst als ich Timothy, einen ihrer größten Anhänger, am Tag vor dem Abschlussball mit seinen langen Fingern in meiner Schreibtischschublade erwischte, rastete ich aus. Mit einem Fußtritt beförderte ich den schlaksigen Eindringling aus meinem
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