Schloss der Engel: Roman (German Edition)
Sulmona zu gehen, und wählte den langen Weg, der sich durch wild wuchernde Kräuter und Gestrüpp den Berg hinabschlängelte. Ein wenig Bewegung würde mich ablenken.
Der frische Wind aus den Bergen kühlte meine vom Laufen erhitzte Haut. Es war warm, allerdings noch nicht so heiß wie im Sommer. Ich genoss die Stille und schickte auch meine Gedanken auf Wanderschaft, rief mir die Erinnerungen an meine gemeinsame Zeit mit Christopher ins Gedächtnis, bis ich bei seinem letzten Versprechen angelangt war.
Meine Einsamkeit trieb mir Tränen in die Augen. Ich unterdrückte sie – ich wollte doch stark sein. Was für mich eine Ewigkeit war, kam einem Engel bestimmt nur wie ein Wimpernschlag vor.
Ich tastete nach meinem Armband. Es war das einzig Greifbare, das mir aus seiner Welt geblieben war. Das Medaillon warf die Sonnenstrahlen zurück und ließ den Engel im hellen Licht erstrahlen – wie Christopher, als er zum ersten Mal seine Engelsgestalt vor mir enthüllt hatte.
Sehnsucht schnürte mir die Kehle zu. Ich ließ das Armband los, das nun ungewöhnlich schwer an meinem Handgelenk hing, und vergrub meine Finger in der Hosentasche, um das Medaillon zu vergessen. Zwecklos. Bei jedem Schritt schien sein Gewicht zu wachsen, als wolle es mich am Weitergehen hindern.
Ich blieb stehen und betrachtete das Schmuckstück. Sollte ich es lieber abnehmen? Es war im Besitz der Totenwächterin gewesen. Nachdem sie es mir abgenommen hatte, war es ihr möglich, mit mir in Verbindung zu treten.
Nervös fingerte ich an dem schwergängigen Verschluss herum. Er klemmte. Sosehr ich mich auch bemühte, er ließ sich nicht öffnen. Als weigere sich das Band, abgenommen zu werden.Ich seufzte ergeben und schob meine Hand wieder in die Hosentasche.
Es hatte diese Welt verlassen. Vielleicht wollte es zurück? Bloß wie? Ich kannte keine Möglichkeit.
Trotz der zunehmenden Last lief ich weiter. Und obwohl ich versuchte, das Band zu ignorieren, kreisten meine Gedanken unablässig um das silberne Schmuckstück. Schließlich wurde es so schwer, dass es schmerzte und mich zum Anhalten zwang. Offensichtlich war es mit meiner Route nicht einverstanden, denn der Schmerz ließ augenblicklich nach.
Vielleicht hatte es recht. Was sollte ich in Sulmona? Ich war erst vor vier Tagen mit Emilia dort gewesen. Aber wohin wollte es? Zu seinem Besitzer? Zu Coelestin, der hier vor Jahrhunderten in den Bergen lebte? Gut möglich, dass es ihm tatsächlich gehört hatte. Ich drehte um und schlug den Weg Richtung Berge ein.
Schon von weitem ragte die Einsiedelei wie eine Festung in den Himmel. Coelestin schien gerne den Überblick zu behalten. Von dort oben sah man frühzeitig, wer zu Besuch kam. Oder gab es andere Gründe für seinen Rückzug? Wurde Coelestin ein Engel, weil er sich vor den Menschen verborgen hatte? Sollte auch ich die Gesellschaft anderer meiden und ein Leben in Einsamkeit verbringen? Ich schob den Gedanken beiseite, als sich ein Bild vor meine Augen drängte, wie ich allein in einer Klosterzelle auf Christopher wartete.
Er würde kommen, er hatte es versprochen!
Und obwohl das Armband sich nun friedlich um mein Handgelenk schmiegte, fiel mir das Gehen zunehmend schwer. Ich zählte meine Schritte – jeder weitere zermürbte mich. Christopher hatte mich zum Warten verdammt! Warum? Um mich ruhigzustellen? Um mich von der Engelswelt abzulenken?
Ich presste die Zähne aufeinander und lief schneller. Wenn Christopher dachte, ich würde tatenlos zusehen, wie er gegenSanctifer kämpfte, schien er mich wohl zu unterschätzen! Vielleicht kannte das Medaillon einen Weg zu seinem ehemaligen Besitzer.
Der Anstieg war mühsam, doch ich fühlte mich befreit, als ich die Einsiedelei erreichte. Ich würde mich nicht in Selbstmitleid vergraben und auf Christopher warten, wenn es eine andere Möglichkeit gab.
Die Einsiedelei war nicht für Publikumsverkehr geöffnet, aber ich spekulierte auf das Interesse ihrer Bewohner. Ein junger Mann erschien auf mein eindringliches Klopfen und öffnete die Tür.
»Ja, bitte?!«
»Darf ich eintreten?«, fragte ich höflich.
»Es tut mir leid, wir empfangen heute keine Besucher«, antwortete er sachlich.
»Ich bin nicht hier, um die Einsiedelei zu besichtigen. Ich bin gekommen, weil ich jemanden suche, der mir weiterhelfen kann.«
Meine Bitte um Hilfe stimmte ihn freundlich. Nachdem ich ihm den Anhänger gezeigt und ihm erklärt hatte, dass ich einen Zusammenhang zwischen dem Medaillon und Coelestin V.
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