Schloss der Engel: Roman (German Edition)
vertrauen.«
Konnte ich das? Wollte ich überhaupt noch jemandem glauben? Ich war nicht einmal mehr sicher, ob ich mir selbst trauen konnte. Vermutlich litten meine Augen und Ohren unter einer Funktionsstörung, und ich sah und hörte Dinge, die gar nicht existierten.
Ich bemerkte, wie Frau Klar sich näherte. Nein, ihre Gestalt war wirklich. So biestig konnte nur sie mich ansehen. Schnell befolgte ich Susans Aufforderung, um einer erneuten Zurechtweisung zu entgehen. Im Grunde war es nicht wichtig, ob Susan etwas in meinem Geist lesen konnte oder nicht. Wenn – was ich nicht glauben wollte –, dann würde sie an meinen vielen Fragen sicher verzweifeln. Jedenfalls fühlte ich keinerlei Veränderung, nichts, das versuchte, in meinen Verstand einzudringen. Letztendlich musste ich mich auf Susans Versprechen verlassen.
Sie fragte nicht nach, warum ich im Anschluss an die Stunde nicht mit ihr zum Schloss zurückging. Möglicherweise hatte sie doch etwas in meinen Gedanken gelesen.
Aron erwartete mich bereits. Er wirkte angespannt, und ich hatte Mühe, meine erste Frage zu formulieren. Seine ansonsten so unbekümmerte Art hätte mir geholfen.
»Aron, was ist hier los? Und warum weicht Christopher mir aus?«
Aron holte tief Luft. Offensichtlich bereitete er sich auf ein schwieriges Gespräch vor. »Es ist vielleicht besser, wenn wir uns setzen.«
Er führte mich zu einer alten Steinbank am Rand der Wiese, die im Schutz der hohen Bäume stand. Er klang beruhigend, fast wie ein Therapeut, als er weitersprach.
»Lynn, du bist nicht mehr in der Welt, die du aus deinembisherigen Leben kennst. Der Übergang ist für alle verwirrend. Einige meistern ihn schneller, andere langsamer.«
Und ich gehörte anscheinend zu den Langsameren! Wahrscheinlich verstand ich deshalb nicht, was er damit sagen wollte.
»Okay, also wenn ich dich richtig verstanden habe, bin ich nicht mehr da, wo ich vorher war.«
Aron nickte.
»Und wo bin ich denn dann jetzt?«
Ich war auf alles gefasst, von der Spezialschule über die Irrenanstalt bis hin zum geheimen Spionagecamp, doch mit seiner Antwort hatte ich nicht gerechnet.
»Lynn«, Arons Stimme tönte ehrfurchtsvoll, »du bist im Schloss der Engel .«
Ich schwankte. Mein Blut sackte mir in die Beine und erschwerte mir, die Bedeutung seiner Worte zu begreifen. Im Schloss der Engel? Der Strohhalm, an den ich mich so verzweifelt geklammert hatte, brach. Christophers Erscheinung war wohl doch kein Hirngespinst.
Ich rang nach Luft und glaubte dennoch, zu ersticken. Die Welt drehte sich um mich und mir wurde schwarz vor Augen. Aron fing mich gekonnt auf, bettete mich auf die Bank und schob seine Jacke unter meine Beine. Er machte das anscheinend nicht zum ersten Mal.
»Deine Reaktionen sind noch allzu menschlich. Aber keine Angst, das gibt sich mit der Zeit.« Besorgt beobachtete er, wie mein Kreislauf sich regenerierte.
»Dann bin ich ... bin ich tot?«
»Es scheint so.«
»Und ich bin auf einer Schule gelandet, in der es Engel gibt?«
»Jepp!« Arons Gelassenheit kehrte zurück. »Es hätte schlimmer kommen können«, setzte er mit einem zweideutigen Grinsen hinzu.
Ich brauchte eine Weile, um seine Worte zu glauben. Bis ich sie akzeptieren konnte, würde es länger dauern. Und welche Rolle mir in der Welt der Engel zugedacht war, blieb mir schleierhaft – gewiss würde ich es noch herausfinden. Eins jedenfalls war sicher: Christopher war tatsächlich ein Engel. Sein sonderbares Verhalten erklärte sich dadurch allerdings nicht. Weshalb hatte er mir auf solch eindrucksvolle Weise seine Gestalt enthüllt? Und warum hatte er mich geküsst – und um Verzeihung angefleht? War das normal bei Engeln, oder gab es einen anderen Grund?
Aron beobachtete mich wie ein Luchs auf der Lauer, als ich mich aufsetzte. Falten zeigten sich auf seiner ansonsten glatten Stirn, da er meine Unruhe bemerkte. Wie immer schien er mir anzusehen, wenn ich an Christopher dachte.
»Aron, wo ist Christopher? Warum geht er mir aus dem Weg?«
Seine Stirnfalten vertieften sich. »Das sind gleich zwei Fragen.«
»Und du versuchst, mir auszuweichen!«
Aron trat einen Schritt zurück und betrachtete mich misstrauisch. »An was kannst du dich noch erinnern?«
Ich zögerte. Wusste er doch nicht, dass Christopher mich geküsst hatte? Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? Aber wer sonst – außer Christopher selbst – konnte mir erklären, warum Engel küssten?
»Ich ... Christopher. Er hat mich im Wald gefunden und in
Weitere Kostenlose Bücher