Schloss der Engel: Roman (German Edition)
zu verletzlich. Christopher musste etwas anderes damit gemeint haben.
Mein Blut begann wieder rascher zu zirkulieren, wärmte mich ein wenig und weckte mich aus meiner Erstarrung. Vielleicht musste ich lernen zu akzeptieren, dass Christopher ein Engel war – auch wenn das bedeutete, dass meine Liebe hoffnungslos blieb.
Aber warum hatte er mich geküsst? Und was hatte Christopher damit gemeint, dass ich die Wahrheit wissen müsste, die ganze Wahrheit. Gab es noch mehr zu begreifen, als dass er ein himmlisches Wesen war?
Ich stand auf, drückte meine Knie durch, die ganz steif vor Kälte waren, und straffte meine Schultern. Meine alte Zuversicht kehrte zurück und stärkte mich. Entschlossen drehte ich den Schlüssel im Schloss und verließ den Keller. Ich war mir sicher, dass nicht nur ich über Christopher Bescheid wusste – und irgendjemand auf diesem sonderbaren Internat musste mir Rede und Antwort stehen und erklären, welche Bedeutung der Kuss eines Engels hatte!
Kapitel 7
Raben und andere Geschöpfe
D er Wecker auf meinem Nachttisch zeigte Viertel vor fünf. Halb hatte ich erwartet, jemanden vorzufinden, doch meine Kammer war leer, als ich sie betrat. Lediglich ein kanariengelber Zettel, auf dem Wetterkunde, Tierkunde, Mittagspause und Mentaltraining stand, lag auf meinem Schreibtisch.
An Schlafen war nicht mehr zu denken, dazu war ich viel zu aufgewühlt. Tausend Fragen und mögliche Antworten, die ich anschließend wieder verwarf, schwirrten in meinem Kopf herum, während ich unruhig in meinem Zimmer auf und ab lief. Es war sinnlos. Allein würde ich nicht weiterkommen.
Um mich abzulenken und aufzuwärmen, wandte ich mich pragmatischeren Dingen zu: Ich duschte. Ausgiebig. Lange ließ ich das heiße Wasser über meinen Kopf fließen, in der Hoffnung, damit auch ein paar der vielen Fragen wegzuschwemmen – was natürlich nicht funktionierte.
Als die Kälte endlich aus meinem Körper gewichen war, wickelte ich mich mit schrumpeligen Fingern in ein flauschiges Handtuch. Ich fühlte mich wohler, aber es ging mir nicht besser. Ich musste mit Christopher reden, und ich war mir nicht sicher, ob ich das jetzt noch konnte. Vielleicht sollte ich zuerst mit Aron sprechen. Mit Menschen kannte ich mich besser aus als mit Engeln.
Mit erzwungener Ruhe wählte ich meine Kleidung. Mehrere T-Shirts landeten auf dem Boden, bevor ich das passende Teil zu meiner Stimmung fand – einen karminroten Pullover.
Endlich war es so weit. Erleichtert verließ ich mein Zimmer.In einer viertel Stunde öffnete die Kantine. Dort hoffte ich, endlich Antworten auf meine bohrenden Fragen zu finden.
Susan traf als Erste ein. Ihre Miene verfinsterte sich, als sie mich entdeckte, doch sie zögerte nur kurz, bevor sie zu mir herüberkam. In ihrer gewohnt freundlichen Art begrüßte sie mich, obwohl mir ihre Unsicherheit nicht entging. Dazu strich sie viel zu oft ihre langen blonden Haare aus der Stirn. Ich ließ ihr ein paar Minuten Zeit, ehe ich auf Christopher zu sprechen kam.
»Warum hast du mir nichts über Christopher erzählt?«
Susan versuchte, meine Frage zu umgehen. »Chris? Hat er etwas angestellt?«
»Es wäre schön, wenn du antworten könntest, anstatt mir auszuweichen«, zischte ich. »Du weißt, was ich meine!«
Susan stellte den Becher, aus dem sie gerade trinken wollte, auf den Tisch zurück. Gedankenverloren fuhr sie mit einem ihrer Finger über den Rand der Tasse. »Ich glaube schon, aber ich denke, du solltest lieber mit Aron darüber reden.«
Sie wich mir aus.
»Bitte, Susan«, flehte ich, doch sie schüttelte abwehrend den Kopf. »Dann ... dann verrate mir wenigstens, wie ich hier an ein Telefon komme, bei dem nicht jeder mithören kann, was und mit wem ich rede.«
Susan sah mich an. Ein irritierter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht, den ich nicht deuten konnte.
»Ich muss noch etwas erledigen. Du solltest wirklich mit Aron reden.« Ohne zu Ende zu frühstücken, stand sie auf und verließ den Speisesaal.
Susans Verhalten verunsicherte mich. Der Blick, den sie mir zugeworfen hatte, war eindeutig: Sie hielt mich für durchgeknallt. Und vielleicht war ich das ja auch. Ich wurde von einem Jungen geküsst, von dem ich glaubte, dass er ein Engel war.
In Gedanken versunken rührte ich in meinem Tee. Gab man mir Drogen, damit ich mir solche Absurditäten ausdachte? Hatteich halluziniert, als Christopher mir als Engel erschienen war? Angewidert schob ich den Teebecher von mir. Wahrscheinlich sollte ich nicht jeden
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