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Schloss der Engel: Roman (German Edition)

Schloss der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Schloss der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Itterheim , Jessica Itterheim
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erwartet wieim Fach Gefahrenabwenden. So überraschte es mich, dass Aron den Unterricht leitete. Er verfolgte mich mit seinem kritischen Blick, und ich setzte mich schnell zu Paul.
    »Aus gegebenem Anlass werde ich den Unterricht ein wenig abwandeln«, begann Aron. Sein Augenmerk blieb unverwandt auf mich gerichtet, während er fortfuhr. »Wir widmen uns heute dem Reich der Toten, insbesondere den Gefahren, die von diesen harmlos scheinenden Orten und ihren Wächtern ausgehen.«
    Ich versank in meinem Stuhl und wünschte, noch immer in Amiras Schlafkabinett zu ruhen. Mit größter Sorgfalt betrachtete ich die Maserung der Tischplatte vor mir und ignorierte Aron – in zweieinhalb Stunden wäre der Spuk vorbei. Ich rechnete damit, dass er mich in Ruhe lassen würde, doch ich täuschte mich. Anscheinend hatte er vor, mir eine Lektion zu erteilen.
    »Lynn kann uns mit der Schilderung ihrer Begegnung den Einstieg in dieses Thema sicherlich erleichtern.«
    Seine Aufforderung schreckte mich aus meiner Versenkung auf. Ich verfluchte Aron insgeheim und bombardierte ihn im Geiste mit den hässlichsten Schimpfwörtern, die ich kannte, bis mein Ärger erlosch. Was blieb, war Enttäuschung über sein Verhalten.
    Während ich von meiner Begegnung mit der Totenwächterin berichtete, verhakte ich meine klammen Finger ineinander und sackte immer tiefer in meinen Stuhl zurück. Bewusst hielt ich die Erzählung sachlich und vermied, den Grund für meinen Aufenthalt bei den Steingräbern anzusprechen. Dabei gab ich vor, sie zufällig während meiner Erkundung der alten Siedlung entdeckt zu haben, und schilderte die ersten Minuten meines Zusammentreffens mit der Wächterin. Anschließend beantwortete ich die Fragen meiner Mitschüler, soweit ich konnte, und lehnte mich danach erleichtert in meinem Stuhl zurück. Ich hatte es überstanden – ohne panisch zu wirken!
    »Ich glaube, das ist noch nicht alles«, drängte Aron weiter.»Es wäre für uns sicher interessant, wenn du auch vom Inneren der Totengruft erzählen könntest.«
    Ich fühlte die Todeskälte in mir. Ohne dass ich es wollte, sah ich die Gebeine der Verblichenen. Wie auferstandene Tote tanzten sie in ihrem modrigen Grab, erhellt vom diffusen Licht des Spaltes, durch den die Totenwächterin mich gestoßen hatte. Ich blinzelte das Trugbild fort – wahrscheinlich eine Auswirkung von Amiras Traumgebräu.
    Nicht gerade begeistert, setzte ich meinen Bericht fort: Beschrieb detailbesessen den architektonischen Aufbau der Gruft, erklärte die Fundamentlegung des Hügelgrabes und streifte nur kurz seinen Inhalt. Das Grauen und die Kälte, die ich dort empfunden hatte, verschwieg ich.
    Erschöpft, wie nach einem langen Lauf, schloss ich die Erzählung mit meiner Rettung durch Aron. Der anerkennende Beifall für seine Heldentat erfüllte den Raum. Aron erstickte schnell den Jubel. Ohne dass ich es bemerkt hatte, war er hinter mich getreten.
    »Eine schöne Geschichte, Lynn. Aber was einer solchen Erzählung erst die nötige Würze verleiht, sind die Gefühle, die jemand empfindet, wenn er ins Reich der Toten blickt.«
    Ich erstarrte, als sich Arons Hände auf meine Schultern legten. Sie hinderten mich daran, meinem Impuls nachzugeben: aufzuspringen und aus dem Kursraum zu flüchten.
    »Was fühltest du, als du allein unten bei den Toten ausharren musstest? Konntest du ihre Nähe spüren? Ihre verzweifelten Schreie, endlich erlöst zu werden?«
    Ich schauderte und schüttelte den Kopf. Erneut tanzten die fahlgelben Gebeine vor meinem inneren Auge, berührten mich ihre knorpeligen Finger und drängten mich an die kalte Grabeswand. Ich krallte meine Fingernägel in die Handflächen, um dem grausamen Tagtraum zu entrinnen. Der Schmerz brachte mich in die Wirklichkeit zurück.
    »Ich fühlte nur die Dunkelheit um mich und erdrückende Stille«, erwiderte ich mit einem Zittern in der Stimme, das ich nicht vermeiden konnte.
    Ebenso plötzlich, wie er hinter mir stand, ließ Aron mich los. Ich schwankte ein wenig, überrascht von der unerwarteten Freiheit, verbot mir aber, aufzustehen und aus dem Unterricht zu rennen. Hätte ich in diesem Moment zu Aron aufgesehen, so hätte ich erkannt, dass er seine Entscheidung, mich zu provozieren, von ganzem Herzen bereute – doch ich bemerkte nichts. Stattdessen saß ich auf meinem Platz und wünschte ihm die Pest – oder etwas Vergleichbares für Engel – an den Hals, starrte auf meine geschundenen Fingerknöchel und ergötzte mich innerlich an

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