Schloss der Engel: Roman (German Edition)
perfekt – abgesehen von dem abrupten Ende des Wachküssens, dem Albtraum der darauffolgenden Nacht und den Kopfschmerzen, die mich am Wiedereinschlafen hinderten.
Nach dem äußerst realen Traum war ich länger unter der Dusche geblieben als sonst, um die Kälte zu vertreiben, die wahrscheinlich die Totenwächterin hinterlassen hatte. Da ich spät dran war, musste das Haareföhnen ausfallen.
Christopher betrachtete mich mit einem Kopfschütteln. »Hoffentlich trocknen deine Haare noch, bevor der Unterricht beginnt. Ich sehe dich schon bibbernd am Seeufer sitzen. Am besten nimmst du deinen dicken Anorak mit.«
Obwohl die Sonne schien, war mir kalt – trotz Jacke. Ein eisiger Wind wehte vom See, aber das war mir egal. Den ganzen Vormittag hatte ich Christopher für mich allein – abgesehen davon, dass er das Flugtraining der knapp zweihundert Engelsschüler überwachte.
Mit angespannter Aufmerksamkeit beobachtete er die Übenden, die in halsbrecherischen Manövern über den See flitzten. Wie beim Lanzentraining waren sie in Gruppen eingeteilt, die jeweils von einem Tutor geleitet wurden.
Ich erkannte Aron unter ihnen, mit Markus und Erika, und beobachtete ihn eine Zeitlang. Er schien nicht mehr der grausame Aron aus Gefahrenkunde zu sein, sondern der heitere, fröhliche Aron, den ich ins Herz geschlossen hatte. Hoffentlich war er das auch noch später, wenn ich an der Reihe war, das Fliegen zu lernen.
Ein leiser Seufzer entfuhr mir, der Christophers Aufmerksamkeit auf sich zog. Er wandte sich vom Ufer ab, setzte sich zu mir ins Gras und legte fürsorglich einen Arm um mich.
»Ich wusste, dass du frieren würdest. Vielleicht solltest du besser ins Schloss zurückgehen.«
»Jetzt, da ich es endlich geschafft hab und du neben mir sitzt? Auf keinen Fall!«, protestierte ich, doch als mich seine Wärme erreichte, spürte ich, wie recht er hatte: Ich zitterte vor Kälte, ohne es bemerkt zu haben.
Nach der Mittagspause hastete ich in mein Zimmer zurück,um meine Jacke gegen einen Windbreaker zu tauschen. Er wärmte zwar nicht so gut, dafür würde er mich beim Fliegen, oder schlimmstenfalls beim Tauchen, nicht so sehr behindern. Zur Sicherheit zog ich noch einen dünnen Fleecepullover darunter. Die Erinnerung an den eisigen See weckte alles andere als Vorfreude in mir.
Mit einem mulmigen Gefühl ging ich die Treppe hinunter. Aron wollte unten auf mich warten, war jedoch nirgends zu sehen. Meine Anspannung wuchs. Ziellos lief ich durch die prunkvolle Eingangshalle.
Ein Hauch von Christophers Duft erreichte mich, und ich folgte automatisch seiner Spur. Zwei aufgebracht diskutierende Stimmen drangen aus dem hinteren Teil des Gebäudes: Christopher und Aron. Natürlich schlich ich näher. Schließlich war ich neugierig, vor allem als ich meinen Namen hörte. Wie gut, dass die Tür nur angelehnt war.
»Ich bezweifle, dass Lynn heute ihre Engelsgestalt entdeckt«, sagte Aron.
»Heißt das, dass du ihr keinen Flugunterricht erteilst?«
»Oh doch, keine Sorge. Ich werde sie vor eine ganz besondere Herausforderung stellen.«
Mir sträubten sich die Nackenhaare. Was auch immer Aron unter einer besonderen Herausforderung verstehen mochte, nach meinen gestrigen Erfahrungen in seinem Unterricht war mir nicht danach zumute, noch mal eine Sonderaufgabe zu bekommen.
»Und trotzdem bin ich überzeugt, dass sie versagt.«
Ein dicker Kloß bildete sich in meiner Kehle. Mühsam schluckte ich ihn hinunter. Aron gehörte nicht zu meinen Befürwortern – nicht mehr. Was hatte ich anderes erwartet?!
»Du hättest sie hören sollen. Sie war so sicher, so überzeugt«, fuhr Aron fort.
Ich beherrschte mich, meinem Impuls zu folgen und die Türaufzureißen, um Aron zur Rede zu stellen. Jetzt warf er mir, neben Unfähigkeit, auch noch Arroganz vor? Meine Abneigung vor der nächsten Stunde wuchs.
»Christopher, wie auch immer. Ich bezweifle, dass sie hier richtig ist.«
Christopher fiel ihm – endlich! – ins Wort. »Du solltest nicht voreilig über sie urteilen, vor allem nicht, da du verantwortlich für sie bist.« Er klang verärgert, beinahe wütend. Trotzdem freute es mich, dass er mich verteidigte.
»Ich werde mein Möglichstes tun«, beschwichtigte Aron. »Aber die Entscheidung, ein Engel zu sein, muss sie selbst treffen.«
Ich hörte, wie sich jemand der Tür näherte, und eilte, so schnell und leise, wie ich konnte, ins Foyer zurück. Dann öffnete ich die Ausgangstür und gab vor hinauszugehen, als Aron die
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