Schloss der Engel: Roman (German Edition)
mich um und ließ ihn einfach stehen. Ich kannte meine Fehler und hatte heute nicht mehr die Kraft, mich ihnen noch einmal zu stellen.
Aber Aron nahm darauf keine Rücksicht und ließ es sich nicht nehmen, mir meine Schwächen aufzuzeigen.
»Lynn, es ist an der Zeit, dass du dich entschließt, ein Engel zu sein. Vielleicht kannst du dich ja bei unserem nächsten Flugtraining dazu durchringen, eine Entscheidung zu treffen.«
Aron, der bis vor kurzem stets heiter und hilfsbereit zu mir gewesen war, bemühte sich erst gar nicht, seinen Sarkasmus zu verbergen – mir grauste bereits jetzt vor der nächsten Flugstunde.
Kapitel 13
Gefahrenkunde
V oller Sehnsucht stürmte ich aus meiner Dachkammer in der Hoffnung, vor Unterrichtsbeginn Christopher zu sehen. Und tatsächlich wartete er auf mich vor meiner Tür. Wir verabredeten uns für die Mittagspause – Christopher betreute heute keine meiner Stunden. Schlafwächter, Geschichte und Gefahrenkunde standen auf dem Programm. Fächer, die ich letzte Woche versäumte, nachdem ich mich im Wald verlaufen hatte.
Markus und ich betraten gemeinsam den Unterrichtsraum. Ein benebelnder Duft kroch mir in die Nase, und ich wünschte, ich hätte Pauls Nasenklammer bei mir – nicht, dass es unangenehm roch. Der Duft war süßlich und harmonisch, seine Wirkung beinahe berauschend. Aber ich musste hart dagegen ankämpfen, um nicht in ein albernes Gekicher zu verfallen, besonders als ich die Möblierung des Zimmers genauer betrachtete. Sechs samtbezogene Kissen, groß genug, um als bequeme Schlafstätten zu dienen, füllten den Raum. Neben ihnen lag je ein dickes, rundes, rot leuchtendes Sitzpolster.
Noch während ich mich umschaute, steuerte eine rundliche Frau auf mich zu. Tiefe Falten durchzogen ihre Haut – sie musste weit über hundert sein!
»Lynn, endlich lerne ich dich kennen!«
Amiras Stimme strafte meine Einschätzung Lügen – jugendliche Frische lag in ihr. Ich stutzte. Durfte sie nur eines ihrer gealterten Körperteile auffrischen? Hatte sie ihre Stimme gewählt, weil sie die Ohren ja nicht verschließen konnte, aber ihre Spiegel verhängen? Amira erschien mir suspekt. Ich konnte sienoch viel weniger einschätzen als Ernesta – unseren Kräuterengel .
»Paul kümmert sich um dich, er wird sicher gleich hier sein.« Viel zu schwungvoll – für ihr Alter – hakte sie sich bei mir unter und führte mich zu einer freien Ruhestätte. »Du kannst es dir schon mal bequem machen. Nein, nicht auf dem Sitzpolster«, säuselte sie geheimnisvoll lächelnd, als ich es mir auf dem Hocker bequem machen wollte. » Du darfst den Schlafplatz nehmen.«
Mit untergeschlagenen Beinen setzte ich mich auf das große, weiche Polster und wartete angespannt auf Paul. Er begrüßte mich nicht mit dem für mich reservierten Grinsen. Stattdessen schenkte er mir einen mitleidigen Blick, der meine Nervosität noch verstärkte.
»Ich hatte mir schon gedacht, dass du mir zugeteilt wirst. Die jüngeren Semester sind bei Schlafkunde stets die Opfer . Hoffentlich stellst du dich nicht so ungeschickt an wie in Gefahrenabwenden.«
Mein Vorsatz, Ruhe zu bewahren, schmolz dahin. Was auch immer Paul unter Opfer verstehen mochte, seine Anspielung versetzte mich in Alarmbereitschaft. Als Amira mir dann einen heiß dampfenden Becher, gefüllt mit einer dunkelroten Flüssigkeit, reichte, schüttete ich das Getränk beinahe über Pauls Schoß.
»Was hast du vor? Du sollst es trinken und nicht mich damit verbrühen!«
Angewidert von dem süßlich penetranten Geruch, stellte ich die Tasse auf den Boden.
»Da wird dir wohl nichts anderes übrig bleiben. Auch wenn sie noch so gebrechlich aussieht, Amira hat ein paar ganz besondere Tricks auf Lager, um widerspenstige Schüler gefügig zu machen. Ich würde mich an deiner Stelle nicht mit ihr anlegen.«
Ein unangenehmer Schauer kribbelte über meinen Nacken. Obwohl ich mir nicht sicher war, ob Paul mich nur aufziehen wollte, glaubte ich seiner Einschätzung von Amira aufs Wort.
Paul hob den Becher an und reichte ihn mir. »Was ist nun, trinkst du freiwillig oder soll ich Amira um Hilfe bitten?«
Ich schüttelte den Kopf und schnappte nach der Tasse.
»Nein, gib schon her!« Mit angehaltenem Atem schluckte ich das widerlich süße Gebräu.
»Und nun legst du dich am besten hin, bevor der Trank zu wirken beginnt – und träum was Schönes.«
Noch bevor ich etwas erwidern konnte, spürte ich die lähmende Müdigkeit. Ich kippte langsam zur Seite und
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