Schloss der Engel: Roman (German Edition)
Aron, »man muss nie jemanden beschützen, den man aus seinem vorherigen Leben kennt.«
»Dann bitte ich um seinetwillen, dass mein Protegé ihm niemals begegnet.«
Markus räusperte sich. Blass und angespannt saß er nebenErika. Sie legte ihre Hand in seine. Es freute mich für ihn – die beiden schienen sich nähergekommen zu sein.
»Ich war acht, als bei mir Leukämie festgestellt wurde. Meine Eltern ließen nichts unversucht. Leider gab es in meiner Heimat nur wenige Spender, und meine Eltern hatten nicht das nötige Geld, um mich im Ausland behandeln zu lassen. Trotzdem war ich zäh und kämpfte gegen das Unvermeidliche. Meine Leidensgeschichte zog sich über mehrere Jahre und nahm meine Eltern ziemlich mit. Ein Krankenhausaufenthalt reihte sich an den anderen. Als niemand mehr daran glaubte, dass ich gerettet werden konnte, fanden sich zwei Spender: einer, dessen Zellen zu mir passten, und ein anderer, der die Operationskosten übernehmen wollte.«
Paul knetete gedankenverloren seine Hände. Meine Aufmerksamkeit wanderte zu Susan. Eine tiefe Sorgenfalte teilte ihre Stirn, bevor sie unvermittelt aufstand und aus dem Raum eilte. Bekümmert schaute ich ihr hinterher. Christophers Blick kreuzte meinen – die gleiche Sorge, wie auch ich sie empfand. Ein Schatten verdunkelte seine Züge, und ich erkannte den Grund: Statt Susan zu trösten, blieb er bei mir.
»Geh ihr hinterher«, flüsterte ich ihm ins Ohr.
Christophers Miene verfinsterte sich noch mehr und ließ ein widerwärtiges Schuldgefühl in mir wachsen, dem ich schnellstens entgegenwirken musste.
»Bitte! Es tut mir wirklich leid, was ich dir und Susan unterstellt habe. Aber wenn du meinetwegen deine Pflichten vernachlässigst, wird mein Fehler nur noch schlimmer.«
Christophers Blick überprüfte meine Aufrichtigkeit. Natürlich bestand ich. Der Brechreiz in meinem Magen schwächte sich ab, als er aufstand und Susan folgte.
Mit einem leisen Seufzer sank ich tiefer in die Kissen des Sofas zurück und hörte den Rest von Markus’ tragischer Geschichte.
»Mit einem glücklichen Leuchten in den Augen besuchten mich meine Eltern im Krankenhaus. Zwei Tage später sollte es so weit sein – ich starb noch in derselben Nacht.«
Alle schwiegen betroffen. Schließlich hefteten sich die Blicke der anderen auf mich.
»Und du, wie bist du gestorben?«, durchbrach Paul die Stille.
Ein lähmendes Gefühl betäubte meine Gedanken. Alle kannten ihre Todesursache und waren in der Lage, ihr Ableben detailgetreu zu schildern – nur ich nicht.
»Ich ... ich hab keine Ahnung«, gestand ich.
»Oh nein! So leicht kommst du uns nicht davon, auch wenn dein Tod noch so banal war. Oder war er eher grausam und blutrünstig?« Mit einer bestialischen Grimasse verzog Paul sein Gesicht und schenkte mir sein bestes Lynngrinsen .
»Nein. Ich weiß es einfach nicht!«
Sonderbarerweise hoffte ich auf Arons Beistand. Doch anstatt einer Erklärung entdeckte ich, dass Aron sein Entsetzen über mein Geständnis nicht verbergen konnte. Er musterte mich mit einem ungläubigen Blick, bevor er sich abwandte.
»Ist das denn möglich, Aron?« Markus schien aufrichtig interessiert zu sein.
»Ich höre das zum ersten Mal. Aber wenn Lynn sich nicht mehr an ihren Tod erinnern kann, wird es wohl so sein. Und nun ist es Zeit für euch Jungengel, schlafen zu gehen.«
Aron scheuchte uns auf und komplimentierte uns aus dem Aufenthaltsraum. Ich erhob mich als Letzte und zögerte meinen Aufbruch hinaus. Arons ausweichende Antwort und seine plötzliche Eile ließen mich vermuten, dass er nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte. Irgendwann waren nur noch wir zwei übrig.
»Aron, was verschweigst du mir?«
»Wie kommst du darauf? Ich habe keinen Grund, dir etwas zu verheimlichen.« Mit einer befehlenden Geste bugsierte er mich zur Tür.
»Dann erklär mir, warum ich mich nicht mehr an so etwas Einschneidendes wie meinen Tod erinnern kann.« Aufmüpfig blieb ich im Türrahmen stehen.
»Lynn, ich bin nicht allwissend! Ich sagte dir ja von Anfang an, dass du anders bist.« Sein Tonfall sollte gelassen wirken, doch ich akzeptierte sein Ablenkungsmanöver nicht.
»Anders? Anders, so wie Christopher?«
Aron zuckte zurück. »Nein! Christophers Wesen unterscheidet sich vollkommen von deinem. Du, du bist unsicher und wenig gefestigt in deinen Entscheidungen.«
Ich biss mir auf die Lippe, wusste ich doch genau, dass er auf mein zweifaches Versagen anspielte. Ohne einen weiteren Kommentar drehte ich
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