Schloß der verlorenen Seelen
Cook und Miß Thorn, die beiden Pflegerinnen, die der Earl of Danemore engagiert hatte, kümmerten sich um Laura, während Camilla die beiden Sanitäter nach unten brachte. Sie bedankte sich bei den Männern und wartete, bis diese im Krankenwagen wieder abgefahren waren. Dann kehrte sie in die Halle zurück. Dr. Forster hatte versprochen, in einer halben Stunde zu kommen. Sie hoffte, daß er nicht aufgehalten werden würde.
Roger Gordon kam aus der Bibliothek. Sein Gesicht wirkte besorgt. “Ich weiß nicht, ob es richtig war, Laura nach Hause zu holen, Miß Corman”, meinte er. “In der Klinik wäre sie bedeutend besser aufgehoben gewesen.”
“Und warum?”
“Denken Sie nur an die Mädchen, die auf Danemore Castle ins Koma fielen, und deren Abbild dann auf einem Gemälde erschien. Ihre Schwester sieht ständig Cathy, sie…”
“Wir wissen nicht, wodurch diese Mädchen ins Koma fielen”, unterbrach ihn die junge Frau, “doch bei Laura ist das etwas anderes. Ihr Koma hängt mit dem schrecklichen Fährunglück zusammen.”
“Was macht Sie da so sicher?”
Camilla dachte daran, wie Laura abwehrend “Nein” geschrieen hatte, als man sie in ihr Zimmer getragen hatte. Aber es konnte nicht sein, es war einfach unmöglich. Mochte ihre Schwester auch den Geist eines kleinen Mädchens sehen, das vor über hundert Jahren gestorben war, nichts und niemand auf Danemore Castle konnte für ihr Koma verantwortlich sein.
“An Ihrer Stelle würde ich mit Laura nach London zurückkehren.”
“So krank, wie meine Schwester ist?”
“Das wäre immer noch besser, als sie dem auszusetzen, was auf Danemore Castle lauert. Auch wenn Sie es nicht hören wollen, Miß Corman, Jason Powell…”
“Nein, das will ich wirklich nicht hören”, sagte Camilla ärgerlich. “Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, Mister Gordon. Ich muß wieder nach meiner Schwester sehen.” Bevor der Lehrer sie noch zurückhalten konnte, eilte sie die Treppe hinauf.
Dr. Forster ließ nicht lange auf sich warten. Er untersuchte Laura, überprüfte die Infusionen, las den Krankenbericht der Klinik und gab den Pflegerinnen einige Anweisungen. Dann verließ er Danemore Castle mit dem Versprechen, am nächsten Tag wiederzukommen.
“Miß Thorn, Sie können ruhig zum Tee hinuntergehen”, sagte Camilla. “Ich bleibe bei Laura.”
Die Pflegerin stand vom Bett ihres Schützlings auf. “Wie Sie wünschen, Miß Corman. Doch falls etwas sein sollte, Sie wissen ja, wo ich bin.”
“Seien Sie unbesorgt”, meinte Camilla. Sie setzte sich zu ihrer Schwester. Obwohl sie sich dagegen zu wehren versuchte, gingen ihr Rogers Worte nicht aus dem Sinn. Irrte sie sich? Hing Lauras Koma doch mit dem zusammen, was auf Danemore Castle in den vergangenen Jahrhunderten vorgefallen war? - Die junge Frau konnte es sich nicht denken. Sie lebten im zwanzigsten Jahrhundert, einer Zeit, in der für Hexenmeister keinen Platz mehr gab.
“Laura, bitte, komm zurück”, flüsterte sie und strich über das Gesicht ihrer Schwester. “Laura…”
Plötzlich bewegten sich Lauras Lippen. “Die Gänge”, murmelte das kleine Mädchen. “Die Gänge, die unter die Erde führen… Cathy… Cathy…”
“Laura, was ist?” Camilla versuchte, ihre Schwester wachzurütteln, doch die Kleine lag nach wie vor im Koma.
“Laura, sprich mit mir, bitte, sprich mit mir.”
Es dauerte einige Minuten, bevor Laura flüsterte: “Hilf mir!”
“Natürlich werde ich dir helfen”, erwiderte Camilla, obwohl sie nicht einmal sicher war, ob Laura sie und nicht Cathy meinte.
Wieder vergingen mehrere Minuten, dann sagte Laura mit einer völlig fremden Stimme: “Es ist ein altes Haus, jahrhundertealt. Dort hat er immer gelebt, dort hat er darauf gewartet, ein Opfer zu finden. Dann ging er fort, aber ein Teil von ihm blieb zurück, lauerte in unterirdischen Gewölben auf ein neues Mädchen, auf neues Blut.”
“Wer lauerte in den unterirdischen Gewölben? Welches Haus meinst du, Laura? - Laura!” Camilla beugte sich ganz dicht über ihre Schwester. “Laura, antworte mir. Laura, ich will dir doch helfen. Antworte mir!”
“Ein altes Haus, nur ein altes Haus, und niemand weiß, daß es diese Gewölbe gibt. Es wirkt freundlich mit seinen Butzenscheiben, den Haselnußsträuchern vor der Haustür, aber die Treppe, die hinter dem Keller liegt, führt in die Hölle, führt…”
Camilla kannte das Haus mit den Haselnußsträuchern und den Butzenscheiben, dennoch fragte sie: “Laura,
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