Schloss meiner Sehnsucht
an.
„Ja... danke.“ Sie ging in Richtung Haustür, zwang sich dazu, noch einmal lässig zu winken und schloss die alte, grün gestrichene Holztür mit dem Rautenmuster auf. In der nächsten Sekunde hörte sie es: Bremsen kreischten, Metall knirschte, Glas splitterte. Und dann war da ein kurzer, heller Schrei, ein Stöhnen... Gleich darauf brauste eine Limousine in höchster Geschwindigkeit davon.
„So ein verdammtes Arschloch!“
Also, das klang nicht sehr vornehm-aristokratisch, kam Viktor aber aus tiefstem Herzen. Er rappelte sich auf, taumelte – und jetzt war es Melanie, die ihn stützte.
„Sind Sie verletzt? Kommen Sie, ich helfe Ihnen.“
„Mein Bein... verdammt, ich kann nicht auftreten!“ Er wies auf sein linkes Bein.
Melanie bückte sich, aber als sie den Fuß, der seltsam verdreht wirkte, auch nur berührte, stöhnte Viktor auf.
„Ich rufe die Rettung. Und die Polizei.“ Als er widersprechen wollte, winkte sie ab. „Das ist notwendig. Ich studiere Medizin. Zwar erst im vierten Semester, aber der Fuß ist mit Sicherheit gebrochen, soviel kann ich feststellen.“ Sie wies auf den Sportwagen. „Die Tür ist abgerissen.
„Fahrerflucht. Den Kerl kriegen die nie.“ Viktor ließ sich zu den Stufen, die zu Melanies Haustür führten, helfen. Er sah ein, dass er ärztliche Hilfe brauchte.
„Wenn Sie mich nicht gebracht hätten... es tut mir so leid.“ Melanie biss sich auf die Lippen.
„Quatsch. Das hätte immer und überall passieren können. Und wenn schon, dann am liebsten mit Ihnen.“ Er versuchte ein charmantes Lächeln. Aber heute entglitt es, die Schmerzen waren einfach zu stark. Und so war er erleichtert, als Polizei und Krankenwagen eintrafen.
Die Bürokratie war rasch erledigt, der Transport in die nahe gelegene Klinik vorbereitet. Aber ehe die Sanitäter ihn in den Krankenwagen schoben, winkte Viktor Melanie zu sich. „Hier, meine Karte. Falls Sie mal wissen wollen, wie es mir geht.“
„Ich... ich werde anrufen.“
Zum Glück schlossen die Sanitäter die Türen, einer der Polizisten kümmerte sich um den ramponierten Sportwagen. Melanie musste ihre Personalien angeben, schließlich war sie eine Zeugin. Und dann, endlich, war dieser aufregende Tag vorbei.
Na ja, was hieß hier vorbei? Stundenlang lag Melanie wach. Und träumte mit offenen Augen.
+ + +
„Oliver hat sein Kommen angesagt.“ Joachim von Sternburgs Stimme klang alles andere als begeistert. „Bin gespannt, was er will.“
„Na, was wohl. Geld.“ Gräfin Nora ließ sich in dem Gobelinsessel nieder, der dem Schreibtisch ihres Mannes gegenüber stand. „Aus einem anderen Grund kommt er doch bestimmt nicht hierher an den Chiemsee. Hier ist doch nichts los. Hier gibt’s nur Pferde, Wiesen und Weiden, Arbeit und nochmals Arbeit. Keinerlei Jetset-Mitglieder.“
„Du hast Recht. Leider. Oliver ist und bleibt nun mal das Schwarze Schaf.“
„So was gibt’s schließlich in jeder guten Familie, nicht wahr?“ Die Gräfin, sportlich und schlank, lächelte ironisch. „Warum soll es uns besser gehen?“
„Wenn nur nicht Joachim in die Fußstapfen seines Onkels tritt. Der Junge nimmt sein Studium einfach nicht ernst genug. Und jetzt noch dieser Beinbruch...“
„Du sagst es: Das Bein ist kaputt, nicht der Kopf. Vielleicht findet unser Sohn jetzt endlich Zeit, für sein Examen zu büffeln.“ Nora von Sternburg liebte ihren einzigen Sohn sehr, aber sie kannte seine Schwächen genau. Und tolerierte sie absolut nicht! „So, und jetzt zur Arbeit: Die Saatbestellung hab ich fertig, auch die Papiere für die beiden Zuchtstuten, die wir an die Araber verkauft haben.“
„Endlich mal wieder ein gutes Geschäft. Das war auch dringend nötig.“ Graf Sternburg leitete nicht nur sehr geschickt das große Gut, das oberhalb des Chiemsees lag und seit fast dreihundert Jahren in Familienbesitz war. Er war im Vorstand einiger europaweit agierender Unternehmen, zudem war er Seniorpartner einer Anwaltskanzlei in München, die weit über die bayrischen Grenzen hinaus einen exzellenten Ruf besaß. Doch wann immer es ihm möglich war, hielt er sich auf dem Gut am Chiemsee auf, dessen Leitung seit etlichen Jahren in den Händen eines Verwalters lag. Sebastian Kurts war ebenso kompetent wie loyal, er arbeitete selbstständig, schätzte es aber, wenn sich die Sternburgs über alle Aktivitäten auf dem Laufenden hielten.
Gerade als sich Gräfin Nora darüber informieren wollte, welche gesellschaftlichen Verpflichtungen
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