Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
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Susanne Wahl
Schwarzer Purpur
Roman
Kapitel 1:
Die Chrysanthemenfrau
Es war ein besonders unangenehmer Novembertag. Der eiskalte Nordwestwind blies die stetig nachfallenden Tropfen in einem perfiden schrägen Winkel unter die Regenschirme. Ich schauderte, als einer davon eine kalte Spur meinen Hals hinunter zog, bevor er im Schal versickerte. Unwillkürlich hob ich die Schultern und versuchte meinen Kopf einzuziehen wie eine Schildkröte, die sich vor der Welt verkriecht.
Wenigstens schmerzten meine Füße in den neuen schwarzen Pumps kaum noch. Sie mussten inzwischen zu Eisklumpen erstarrt sein. Sehnsüchtig malte ich mir aus, wie ich mir ein dampfend heißes Bad einlassen würde, mit verschwenderischen Bergen von Schaum. Die Wärme würde zuerst beinahe unangenehm sein, aber dann würde sich meine Körpertemperatur anpassen und ich würde den Moment genau spüren, an dem meine Poren sich öffneten und der Schweiß ausbrach.
Wie selbstsüchtig von mir, in solchen Gedanken zu schwelgen!
Schuldbewusst drückte ich meine Schultern nach hinten und hob den Kopf wieder an. Ich beerdigte meine Mutter, es war nicht die Zeit, an mein persönliches Wohlgefühl zu denken. Und wenn ich mich darauf konzentrierte, meine empfindliche Kehle den Nadelstichen der windgetriebenen Regentropfen auszusetzen, würde ich vielleicht von den Worten des fremden Pfarrers abgelenkt werden. Er sprach und sprach über eine Frau, die mir unbekannt war: von langem, geduldig ertragenem Leid, großer persönlicher Tapferkeit und einem Übermaß an Liebe zu ihrem einzigen Kind. Dabei sah er mich streng an.
Um seinem stechenden Blick auszuweichen, musterte ich den Blumenschmuck auf dem Sargdeckel. Die Träger hatten den Eichensarg bereits hinabgelassen und sich nach einem entschuldigenden Blick in meine Richtung eiligst in ihren Aufenthaltsraum zurückgezogen. Einzig der Bestatter hielt neben mir aus. Seine stoische Gegenwart, die Unbeweglichkeit, mit der er das Wetter einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen schien, wirkten seltsam tröstlich. Er erinnerte mich an Säulenzypressen, die weicheren Pflanzen einen festen Rahmen und Orientierung bieten.
Das Gesteck aus weißen Callas und Misteln war Mutters spezieller Wunsch gewesen. Als ich das nüchterne Stück Papier aus dem Umschlag in ihrer Nachttischschublade gezogen hatte, war mein spontaner Gedanke gewesen: »Wie passend!« Besonders Callas wirken in ihrer Perfektion so unnatürlich, dass man immer versucht ist, sich durch eine Berührung zu vergewissern, dass sie keine Nachbildungen aus Plastik sind. Ihnen scheint jedes Leben zu fehlen. Selbst der Prozess des Welkens läuft nahezu im Geheimen ab: Am Abend sehen sie noch makellos aus, am nächsten Morgen hat sich das schneeweiße Blütenblatt braun vertrocknet zusammengerollt, als hätte es nie gelebt.
Misteln, die vom Saft der Bäume leben, auf denen sie wachsen, hatten mit Mutter einiges gemeinsam: Auch sie hatte auf mir gelebt, durch mich, mich erstickend. Hatte es eine Zeit in meinem Leben gegeben, in dem ich mich nicht ununterbrochen von ihrem aufmerksamen Blick, der jede Verfehlung gnadenlos aufzudecken pflegte, beobachtet gefühlt hatte? Als Kind war ich überzeugt davon gewesen, dass sie nicht nur über versteckte Augen am Hinterkopf, sondern auch über hellseherische Fähigkeiten verfügte. Das einzige Mal, dass ich es gewagt hatte, meine Ballettstunde zu schwänzen, um mit meiner Schulfreundin den kleinen Wanderzirkus zu besuchen, der in unserer Stadt Station machte, hatte sie es mir bereits an der Haustür angesehen. Zur Strafe hatte ich meinen Lieblingsteddy dem Kinderheim spenden müssen. Wochenlang weinte ich mich in den Schlaf, weil ich ohne meinen Kameraden den schrecklichen Ungeheuern, die nachts mein Zimmer aufsuchten, hilflos ausgeliefert war. Ich wagte es niemals wieder, offen oder heimlich, entgegen Mutters Anweisungen zu handeln.
Ich ging auf die Realschule, obwohl meine Lehrerin alles versuchte, meine Mutter dazu zu überreden, mich auf das Gymnasium gehen zu lassen. Die Lehrer schätzten mich als fleißige, unauffällige Schülerin – eine, bei der keine Elterngespräche notwendig waren. In den Augen meiner Mitschüler war ich eine langweilige Streberin, uninteressant. Ich beneidete sie glühend um die Freiheit, sich nach Lust und Laune treffen zu können. Sie luden mich nie dazu ein, aber Mutter
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