Schlüsselherz (German Edition)
auf solch vulgäre Interessen kam.
„ Ihr habt doch nicht wirklich …?“, fragte er schließlich vorsichtig.
Cera lachte. „Aber nein. Das war nur ein Beispiel zur Verdeutl i chung. Wir haben unsere Versuche im ganz kleinen Rahmen getätigt und schnell festgestellt, dass ein Schluck zu heißer Tee oder ein Spritzer heißes Fett uns genauso zurückschrecken lässt wie jeden Menschen. Aber diese Neugier, Valender! Kennen Sie das denn wir k lich nicht? Die Frage, was wohl passiert, wenn man sich mitten auf dem Marktplatz bäuchlings in eine Schlammpfütze wirft? Oder bei Nacht aus vollem Hals singt, bis die Sterne einen hören? Haben Sie nie mit dem Gedanken getändelt? Sind solche Überlegungen nicht auch in gewisser Weise … normal?“
Sie blickte ihn mit einer eigenartigen Hoffnung in den Augen an. Als könne er ihr Menschlichkeit attestieren. Dafür war er nicht der Richtige. Er, der selbst nicht in der Lage war, ein paar vernünftige Worte mit seinem Vater zu wechseln; er, der das Grab seiner Mutter nie gesehen hatte; er, der etwas in sich hatte, was nicht sein durfte. Er hatte keine Antworten, wenn sie Rat fürs Menschsein suchte.
Und so schüttelte er bloß den Kopf, und sie senkte den Blick und schwieg die restliche Fahrt hindurch, während er darüber nachsann, wie stark ihre Schmerzen wohl waren und was er dagegen tun kon n te.
Die Kutsche wurde langsamer, und der Kutscher klopfte gegen die Klappe. Valender bewegte einen Hebel, und ein Sichtschutz zw i schen Bock und Innenraum fuhr langsam herab. Die Geräusche der rollenden Räder und der klappernden Stahlhufe drangen in den W a gen.
„ Verzeihen Sie, Sir“, sagte der Kutscher, „aber offenbar hat man die Straße gesperrt. Es sieht aus, als fände vor dem Themse-Theater ein Volksfest statt.“
„ Schon in Ordnung, wir gehen gern ein Stück zu Fuß. Bitte halten Sie in der Nähe und gedulden Sie sich einen Moment.“ Valender ließ den Sichtschutz wieder hoch. Cera hob erstaunt eine Augenbraue. Sie wusste offenbar, was es normalerweise bedeutete, wenn Ku t schen noch lange am Zielort standen, ohne dass jemand ausstieg. Verlegen rieb sie sich am Arm und errötete.
Auch Valender spürte Hitze in den Wangen, wenn er sich ausma l te, an was der Kutscher nun denken mochte. Die Vorstellung, sich tatsächlich zu ihr hinüberzubeugen, ihre weiche Haut mit den Fi n gerspitzen und den Lippen zu berühren, war außerordentlich …
Himmel, Arsch und Zwirn , was war in ihn gefahren?
Sie war nicht einmal ein Mensch.
Er räusperte sich und kam schnell zum Punkt, um ihr keine fa l schen Signale zu senden. „Cera, ich fühle mich mit verantwortlich für das, was dir gestern Nacht geschehen ist. Private Ermittlungen sind nie ganz risikofrei, ich hätte dich warnen müssen.“
„ So?“ Ein spöttisches Grübchen zierte ihre Wange. „Sie haben I h ren Wissensstand und Erfahrungsschatz bezüglich der Privatermit t lungen offenbar in Rekordzeit aufgebaut, Valender, ich bin schwer beeindruckt.“
„ Ich bin eben ein belesener Mann“, antwortete er halb ernst. „Aber lenk nicht ab. Ich habe eine Idee, wo wir deine Wunde ve r sorgen lassen können, ohne dass du Fragen beantworten musst.“
Aus ihrem Amüsement wurde Skepsis. „Tatsächlich?“
„ Meine Haushälterin verfügt über eine gewisse … Erfahrung mit so etwas.“ Das entsprach einer sehr kreativen Variante der Wahrheit. Abby war, bevor er sie von der Straße aufgelesen hatte, Näherin g e wesen. Die Umstellung auf billige mechanische Arbeitskräfte in be i nah e allen großen Textilfabriken hatte die Preise für Stoffe so dra s tisch gesenkt, dass sämtliche kleinen Betriebe zum Erliegen geko m men waren. Das hatte Abby im letzten Jahr den Job gekostet, und sich als Putzfrau verdingen zu müssen, kratzte erheblich an ihrem Stolz, was wiederum aus ihrem Charme ein Minenfeld machte. Aber Abby war zuverlässig und tratschte nicht. „Du darfst bloß nicht e r warten, dass sie freundlich zu dir sein wird.“
„ Mag sie meinesgleichen nicht?“
„ Sie mag nichts und niemanden. Vermutlich wird sie dich beleid i gen, wie du es noch nie erlebt hast. Das geht jedem so, mich eing e schlossen. Aber sie wird deine Wunde besser nähen, als jeder Arzt es könnte.“ Wenn sie sich denn dazu herabließ, es zu versuchen.
Cera zögerte. Ihre Röte schien sich bei der Vorstellung, Valenders Wohnung aufzusuchen, sogar noch zu vertiefen. Doch letztlich war ihr offenbar bewusst, dass die Verletzung auf
Weitere Kostenlose Bücher