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Schlüsselherz (German Edition)

Schlüsselherz (German Edition)

Titel: Schlüsselherz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Abigail
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Augen auf und taumelte nach vorn in das kleine Zimmer. Mit dem Schlimmsten hatte er gerechnet, doch nicht mit dem, was sich ihm offenbarte. Sie waren überall.
    Flecken aus einer öligen Substanz, in ein Fell aus schwarzem Schimmel gehüllt, krochen die Wände hoch wie Maden und ließen feine, klebrige Fäden hinter sich. In ihren Gesichtern leuchteten ei s blaue Augen. Von schwarzen Zahnstummeln, die wirkten, als hätte man stumpfe Pflöcke angespitzt, tropften Blut und Geifer. Er kon n te ihre Anzahl nicht schätzen, es mussten Hunderte sein, kaum ein Stück der Zimmerwände oder der Decke war noch frei und alle W e sen hefteten ihre bösen Blicke auf ihn. Sie lockten ihn mit leisen, blechernen Schreien und einem Fiepen, das an sterbende Ratten e r innerte. Einige trugen lange Fleischwunden, andere zerrten Teile ihrer Gedärme hinter sich her, und die nächsten folgten den Ve r wundeten und fraßen von ihnen. In den Ecken klebten jene Neces, die sich fortpflanzten. Brutal und unter qualvollen Schreien schlugen sie ihre unförmigen Körper zusammen und pressten unter noch gr ö ßerer Pein gleich danach kleine Abbilder aus ihren Mündern. Die widerliche Brut begann sogleich, sich gegenseitig aufzufressen. Es war ein unaufhörliches Kreischen und Fressen und Sterben und T ö ten. Die größten, mächtigsten der Wesen krochen an den Kanten des Spiegels entlang oder besetzten den Schminktisch.
    Nathaniel sah sich selbst im Spiegel, sein eigenes Gesicht sch o ckierte ihn. Sein Spiegelbild trug ein versonnenes Lächeln auf den Lippen. Seine Hand streckte sich sehnend nach den Neces aus, stre i chelte über das Schimmelfell. Entsetzt sah Nathaniel auf seine eig e nen Hände. Er hatte sie vor der Brust fest ineinander gekrallt, wie ein Betender. Sein Ebenbild im Spiegel berührte die abscheulichen Kre a turen, ließ sie auf seinen Handflächen sitzen und erlaubte, dass sie sich wie Schlangen um seine Arme wanden und in Richtung seiner Brust krochen. Er lachte auf – ein eisig klirrendes, krankes Lachen – als sie ihm in die Arme bissen.
    Nathaniel donnerte der Herzschlag bis in die Kehle. Die kleinen Fratzen streckten lange Zungen und formlose Hände nach ihm aus. Mit ihren schleimigen Klebefäden hatten sie das Fenster völlig zug e sponnen und auch die Tür war nicht länger als solche zu erkennen. Es gab keinen Weg mehr nach draußen. Ein Nex stürzte sich von der Decke, nur ein rascher Schritt nach hinten verhinderte, dass es in seinem Nacken landete. Seinem Spiegelbild wanden sich die Kreat u ren bereits um den Hals. Ein … Etwas, vielleicht ein Schwanz, fuhr ihm über die Lippen und drang in seinen Mund ein. Nathaniel schmeckte es auf der Zunge. Traniges, verfaultes Fleisch, das erst seine Mundhöhle und dann seinen Rachen ausfüllte. Zu atmen fiel mit jedem Augenblick schwerer. Er musste sich beeilen, lange würde er dem Horror nicht mehr standhalten.
    „ Yasemine“ Er wollte brüllen, doch wie in einem Albtraum g e horchten ihm seine Lippen nicht und aus seinem Mund drang nur ein Stöhnen. „Yasemine, Yasemine!“
    Der Nex, der zu Boden gefallen war, näherte sich seinen Schuhen. Andere Neces schienen auf dieselbe Idee zu kommen. Immer mehr von ihnen krochen auf die Dielen zu und umkreisten ihn.
    Er konzentrierte sich auf ein Wesen, das über den Spiegel glitt. Mit einem Gefühl, als schmelze sein Gehirn zu einer fauligen Suppe, e r widerte es die Kontaktaufnahme. Er spürte den angsterfüllten Hass, aus dem das Wesen bestand. Gleichzeitig wurden seine bewussten Gedanken leichter. Er überwand seine Furcht und seinen Ekel – war das kein Grund zur Freude? Zaghaft noch streckte er die Hand nach dem Nex aus.
    Yasemine?, dachte er mit aller Kraft. Das Wesen gab ihm keine Antwort, aber er fühlte bereits, dass es ihm nicht mehr so wichtig war. Dem Nathaniel jenseits des Spiegels drangen Neces in die A u genhöhlen ein. Ihm selbst wurde dunkel vor den seinen. Er sah nichts mehr, spürte nur noch, wie sein Denken leichter und leichter wurde, während der Atem ihm nun vollkommen wegblieb. Seine Finger stießen auf den Nex.
    Sie waren in ihm. Füllten seine Kehle, seine Lungen, seinen Magen und sein Hirn.
    Komm zu uns, wisperten sie. Sei frei. Sei bei uns. Bleib. Bleib bei uns. Sei wie wir.
    Er wusste nicht, welcher Gedanke ihm plötzlich durch den Kopf schoss, gedämpft von den weichen Leibern der Neces. Es musste eine Erinnerung sein, die er verloren hatte und die nur noch in se i nem Unterbewusstsein als vager

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