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Schlüsselherz (German Edition)

Schlüsselherz (German Edition)

Titel: Schlüsselherz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Abigail
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lag wie eine Staubschicht über dem Boden, den Treppen, den Geländern und den Türgriffen. Er sah auf seinen Chronografen; offenbar war er ein paar Minuten zu früh. Doch ihm war nicht d a nach, sich die Zeit zu vertreiben, indem er die Bilder betrachtete o der die ausliegenden Handzettel las. Stattdessen hielt er geradewegs auf den Korridor zu, der zu den Garderoben führte, um ein paar Worte mit Cera zu wechseln, ehe der impertinente Mr Charles au f tauchte und die Gespräche an sich riss, als gehörten sie allesamt ihm. Gleichzeitig beschwor er Melissas Bild vor seinem inneren Auge he r auf. Er musste sich zusammenreißen. Nur keine Dummheiten m a chen.
    Herrgott, allein hier zu sein, war eine Dummheit.
    Die Gänge waren leer, viele Türen verschlossen. Hindurchzugehen war, wie durch einen düsteren Tunnel zu schreiten. Die Teppiche schluckten Valenders Schritte, es war still, als wäre er überhaupt nicht da. In der Luft lag noch das Parfum von Tänzerinnen, die nicht anwesend waren. Die Neces zwangen sich in Valenders Gedanken, ohne dass er es verhindern konnte. Ihm schauderte.
    Erst die letzte Tür des langen Ganges, die Tür zu Ceras Garder o be, stand offen. Sie trug bereits ihr Kostüm für die Bühne und flocht gerade ihr Haar zu Zöpfen, die sie mit Klammern am Hinterkopf hochsteckte. Erst als sie fertig war, nahm sie ihn wahr und lächelte ihn durch den Spiegel an.
    „ Valender“, rief sie überrascht. „So früh hatte ich nicht mit Ihnen gerechnet. Kommen Sie bitte herein.“
    Ihre Garderobe hatte nichts mit ihrem Privatzimmer gemein. Hier wies nichts auf ihre Persönlichkeit hin; es gab weder Bücher noch eine Rechenapparatur oder Kanarienvögel. Der Raum wurde von einem Schminktisch und dem Spiegel dominiert und beherbergte ansonsten nur noch einen Hocker, einen Kleiderständer und zwei Lampen mit breiten Schirmen, die das helle Licht spendeten, das sie zum Schminken brauchte. Puder, Rouge und Lippenstift lagen über dem Tisch verteilt, außerdem Kämme, Bürsten, Haarnadeln und vi e le Pinsel und Quasten. Kein Parfum, nahm Valender wahr. Es e r leichterte ihn, er hasste intensive Parfums.
    „ Ich bin soweit“, sagte Cera und warf sich einen Morgenmantel über ihr knappes Bühnenkostüm, an dem kaum mehr Stoff war als an einem Badeanzug. Sie wandte sich um und fasste nach seiner Hand. Valender zuckte zusammen, als hätte sie ihm einen Stro m schlag versetzt. Doch sie drehte nur sein Handgelenk soweit, dass sie den Chronografen, den er an einem Armband trug, in Augenschein nehmen konnte.
    „ Nathaniel wird bald hier sein“, sagte sie, ohne seine Hand losz u lassen.
    Er nickte.
    „ Wir sollten zum Foyer gehen. Ich glaube nicht, dass er wie Sie die Dreistigkeit besitzt, in meine Garderobe zu kommen.“ Ihre Augen blitzten, und ihre Stimme klang, als mache sie ihm mit dem Wort Dreistigkeit ein großes Kompliment. „Valender?“
    Erst jetzt bemerkte er, dass er sie stumm wie ein Fisch angeglotzt hatte. Er merkte es. Und konnte doch nichts dran ändern.
    Ein trauriges Lächeln spielte in ihren Mundwinkeln, als wären ihre Lippen ein Instrument, von dessen Saiten ein sehnsüchtiges Lied erklang. „Ich muss Ihnen noch für Ihre Hilfe danken“, lautete der Text dieses Liedes. Sie sang die Worte mehr, als dass sie sie sprach. Und dann streckte sie sich zu seinem Gesicht hoch und berührte mit den Lippen flüchtig seine verspannte Wange. „Danke“, murmelte sie. Ihr Atem küsste seine Haut, und er fühlte sich wie von Marionette n fäden bewegt: Sein Kopf glitt zu ihr herum. Seine Lippen fanden die ihren. Seine Hand bewegte sich zu ihrer Taille, und sein Daumen streifte absichtslos ihre kleine, feste Brust. Schauder, wie von Elek t rizität verursacht, schossen ihm durch die Brust, den Bauch und d i rekt zwischen die Beine. Ihr Kuss war von einer Kühle, die sich heiß anfühlte. Von Zärtlichkeit, die ihm in den Magen drosch. Ein winz i ger Moment, der sich in die Ewigkeit bohrte, wie ein scharfer Dorn mit Widerhaken an der Spitze. Eine Sekunde lang – er hörte den Zeiger seines Chronografen ticken – fühlte es sich herrlich an, in der Vorstellung, sie immer wieder zu küssen. Im Geheimen, Verborg e nen. Niemand musste davon erfahren.
    Dann ging der Augenblick vorbei. Valender senkte den Kopf, und ihre Lippen trennten sich. Er sah wieder klar. Nein, es war eine schändliche Idee, Cera für eine geheime Affäre zu benutzen. Wie konnte er nur daran denken, sie auf diese Weise in den Dreck zu

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