Schlüsselherz (German Edition)
ziehen. Es würde herauskommen, und dann war sie ruiniert.
„ O Gott, verzeih mir, Cera.“
Sie berührte seine Wange. Eine stumme Frage, weil sie nicht ve r stand. Wie sollte sie auch – er verstand es selbst nicht. Er spürte i h ren Kuss noch auf den Lippen schmerzen, als hätte er sich dort ei n gebrannt.
„ Ich gehe besser. Das war dumm von mir und ich darf nicht länger dumm sein. Ich richte hier nur Unheil an.“
„ Valender … geh nicht.“
Ihm lag ein Leb e wohl auf den Lippen; ein endgültiger Gruß. Aber er bekam die Worte nicht gesprochen. Still wandte er sich ab, verließ die Garderobe und eilte mit lautlosen Schritten durch den Korridor, den Rücken kerzengerade, sein Innerstes zusammengekrümmt. Er spürte, dass sie ihm nachsah, doch er blickte nicht zurück. Er konnte sich einreden, dass sie mit ihm gegangen wäre, hätte er darum geb e ten. Die Fantasie musste reichen und tat es bei Weitem nicht. Kraf t voll vor unterdrückter Wut zog er die Tür zum Foyer auf und stieß dort mit Nathaniel Charles zusammen.
„ Sieh an, du warst schon bei Miss Cera“, sagte dieser, ernsten Spott in der Stimme, der Valender traf. „Und flüchtest nun mit ganz verhärmtem Gesicht. Was ist passiert?“
Valender antwortete nicht. Er wollte sich an Nathaniel vorbeidrä n gen, doch der schob ihn zurück und schloss die Tür. Valender kämpfte gegen den Drang, ihn zu schlagen.
„ Ganz sacht“, sagte Nathaniel. Die Neugierde in seinem Gesicht avancierte zu Misstrauen. Er versetzte Valender einen Klaps auf die geballte Faust. „Wir gehen jetzt zu ihr zurück. Sollte sie weinen, b e kommst du deinen Willen – eine Prügelei noch vor Ort.“
Valender schnaubte missmutig, aber er erkannte sofort, dass der M a ler ihn jetzt nicht gehen lassen würde. Er ging mit ihm zurück zur Garderobe – dass Cera weinte, war absurd. Trotzdem hatte er sie verletzt, das hatte er sicher und es machte ihn krank.
Wenn es nur irgendwo eine Zuflucht gäbe, in der die Regeln a n ders waren. Statt Buchstaben auf Steintafeln sollten Steintafeln auf Buchstaben liegen, damit man die Worte nicht mehr sah. Und die Zeiger der Uhren sollten sich linksherum drehen. Eine Enklave in London, in der Puppen Menschen waren – oder Menschen Puppen.
Er behielt recht, Cera weinte nicht. Sie begrüßte Nathaniel, als w ä re nichts passiert, und gönnte ihm selbst nicht mehr als einen Blick, der Vorwurf und Vergeben in einem war. Sie wusste selbst, dass es keine Zukunft für sie gab, und akzeptierte es mit sehr viel mehr Stolz als er.
„ Wollen wir für das Experiment in Yasemines Garderobe gehen?“, fragte sie.
Nathaniel wiegte den Kopf. „Wenn das der Raum ist, aus dem sie entführt wurde, müssen wir dorthin. Aber bitte, Cera, versteh, dass ich nur dann eine Aussage über Miss Yasemine tätigen kann, wenn sie dort getötet wurde. Wurde sie lebend entführt, kann ich vermu t lich nicht helfen.“
„ Hoffen wir, dass du nichts findest“, sagte Valender, zerrissen von dem Wunsch zu bleiben, um Cera im schlimmsten Fall beizustehen, sowie der Überzeugung, dass es besser war, zu gehen. Besser für sie alle.
***
Nathaniel bat Cera zu warten, als sie die Tür zu Yasemines Garder o be öffnen wollte. „Ich möchte das Dritte Auge erst öffnen“, sagte er. „Es kann mein Unterbewusstsein beeinflussen, wenn ich die Dinge, die ihr gehörten, erst durch meine Weltenaugen sehe. Neces nutzen das Unterbewusstsein, um zu täuschen.“
Ceras Hand ruhte auf dem Türknopf. „Gib mir ein Zeichen, wenn du bereit bist.“
Er nickte und schloss die Augen. Mit dem Atem ließ er das b e wusste Denken ausfließen und sog reine, gedankenlose Energie in sich auf. Es war, als atmete er beschriftete Blätter, ach, ganze Bücher aus und weißes, jungfräuliches Papier wieder ein. Er brauchte nur drei Züge, bis er sich sehend fühlte, erfüllt von klarer, weißer Ene r gie und Licht. Er hatte sich trotz der langen Jahre ohne Training nicht verschlechtert. Sein Körper und sein Geist waren bereit, um zu sehen, sie sehnten sich danach.
„ Cera“, murmelte er und hörte, wie daraufhin das Türschloss kl a ckerte und das Scharnier leise knirschte. Ein Hauch wehte ihm en t gegen. Staub, unterschiedliche Parfums, Körperpuder und zu lange nicht gelüftete Stoffe.
Einen Moment lang war die Angst so groß, dass er am liebsten d a von gerannt wäre, doch es gelang ihm, sich zu beherrschen. Schnell jetzt, schnell, ehe ihn der Mut verließ. Er riss die
Weitere Kostenlose Bücher