Schlüsselherz (German Edition)
bringen.“
Mrs Keyman goss sich selbst noch einen Schluck ein und füllte u n aufgefordert auch sein Glas noch einmal nach. „Ich erzähle Ihnen gern alles, was ich weiß“, sagte sie und seufzte leise und erschöpft. „Aber darf ich Sie darum bitten, dass wir uns dafür auf die Kanapees setzen? Es war ein harter Tag. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr mich der Rücken schmerzt. Und meine Füße erst!“
Er stimmte zu und machte es sich auf einem der Sofas bequem. Den Whisky stellte er auf dem Tischchen ab. Mrs Keyman ließ ihre Stilettos neben ihrem Schreibtisch stehen, kam barfuß, das Glas in der einen und die Flasche in der anderen Hand, zu ihm und setzte sich nah neben ihn. Hoffentlich erwies sich auch ihre Zunge als g e löst und ihre Worte als so vertrauensvoll wie ihr schlanker Obe r schenkel, der gegen den seinen drückte. Er musste jetzt dringend an die richtigen Informationen gelangen.
Sie wackelte mit den blutrot lackierten Zehen und seufzte erneut, diesmal wohlig.
„ Reden wir also über Nathaniel Charles, Londons reichste mag i sche Missgeburt. Lassen Sie mich mal überlegen, was mir so alles über den Mann einfällt. Ich hoffe, Sie sind sich bewusst, dass es eine lange Nacht wird, Valender?“
***
Noch zehn Sekunden bis zu ihrem nächsten Auftritt.
Cera stand am Rand der Bühne, wo der Vorhang sie vor den Z u schauern verbarg. Sie strich das Seidenkleid glatt, das sie in der Rolle der Julia trug, stimmte sich mit einem Blick mit ihrem Pas de deux-Partner an der anderen Seite der Bühne ab und setzte dann die Ma s ke auf. Esra, die den Romeo tanzte, nickte ihr zu, sie war soweit. Es gab zwar männliche Puppen, aber die Keymans fanden es ästhet i scher, wenn nur weibliche Darsteller tanzten. Mr Keyman hatte e t was gegen Männer in Strumpfhosen, es kam ihm sehr gelegen, dass auch weibliche Puppen die nötige Kraft hatten, um Hebefiguren zu tanzen. Das gelang natürlich nur, da ihre Partnerinnen sehr leicht waren. Puppen mit übermenschlichen Kräften zu schaffen, war nur dem Militär erlaubt.
Cera atmete noch einmal durch, ehe sie in sehr langsamen, ve r träumten Pirouetten auf die Bühne schwebte, wo sie gleich ihrem maskierten Romeo begegnen würde. Wie frei sie sich heute in der Rolle fühlte!
Früher war die Julia alles andere als ihre liebste Darstellung gew e sen. Sie hatte nicht nachvollziehen können, wie eine junge Frau sich derart in einer Liebelei verlor, dass sie sich am Schluss das Leben nahm. So schlimm, hatte sie gedacht, konnte das doch nicht sein, einmal nicht zu bekommen, was man wollte. Tausenden ging es nicht besser, und die griffen weder zu Gift noch zum Dolch, um lieber tot zu sein als lebendig. Cera hatte die Julia gut getanzt, ja, aber nie den tadelnden Gedanken Ach, du dumme, dumme Julia! ablegen können. Was auch immer Valender mit ihr gemacht hatte – es reic h te sicher nicht, um sich den Tod zu wünschen – aber es war genug, um sie dazu zu bringen, die Julia zu verstehen. Um ihre Gefühle zu erleben.
Der Applaus war umwerfend heute. Stehende Ovationen – das ganze Publikum stand, als sie nach dem Stück ein letztes Mal auf die Bühne trat. Ihre Blicke huschten im Saal umher. Valender war doch hier gewesen. Was hielt ihn davon ab, sich die Vorstellung anzusehen? Sie blinzelte in die Scheinwerfer und versuchte, ihn irgendwo in der Menge auszumachen. Er war nicht da.
Dafür spürte sie plötzlich mit aller Deutlichkeit die Anwesenheit einer anderen Person. Starr vor Schreck sah sie blicklos in die Menge und hatte mit einem Mal das schreckliche Gefühl, dem Mann in die Augen zu schauen, der aus irgendeinem Grund ihren Tod wollte. Der Atem erfror Cera in der Brust.
Er war da draußen. Und sie war allein.
***
„ Lyss, das ist keine gute Idee.“
Dessen war Valender sich sicher, trotzdem musste er kichern, als Lyssandra ihm die fußballgroße Kugelvase aus buntem Glas entg e genhielt, in der eine kleine Dampfmaschine den Kessel beheizte, in dem das Opium geröstet wurde, um seine berauschenden Dämpfe zu entwickeln.
„ Komm, Valender“, säuselte sie. Der Alkohol und der erste Zug Opium hatte ihre Stimme zugleich rau und samtig gemacht, und ganz leise, was im Gegensatz zu ihrem sonstigen lauten Organ eine Wohltat war. „Ich hab das doch jetzt nicht umsonst vorbereitet. Wir machen uns doch nur ein bisschen locker.“
Er griff nach der Kugel und verbrannte sich fast die Finger, weil er sie an der falschen Stelle anfasste.
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