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Schlüsselherz (German Edition)

Schlüsselherz (German Edition)

Titel: Schlüsselherz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Abigail
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Kreuz um den Hals trug, ein zu schweres, massives Kreuz, als es für einen Christen schicklich war. Eher eine symbolische Waffe gegen Verblichene und Dämonen. Sie fürchteten Kreuze. Hoffentlich war Louis vorsichtig.
    Cera dachte lange nach, kam aber zu keinem Ergebnis.
    Die Nacht zog über die Stadt, so kalt und dunkel, dass Cera es bis in die kleine Toilettenkabine inmitten des Theaters im Herzen der Stadt spürte. Zuerst verstummten die Geräusche aus dem Foyer, dann versickerten die Laute, die die anderen Mädchen in ihren Zi m mern machten, in den weichen Teppichen. Zuletzt wehte der Wind die Stimmen von außerhalb der Mauern fort. Das Theater ging schl a fen. Es wurde still, still wie in einem Sarg.
    Louis kehrte zurück. Er hatte nichts gesehen und musste sich rasch verabschieden. Er war ein alter Verblichener und am Rande seiner Kräfte. Nie konnte er länger erscheinen als ein paar wenige Stunden um Mitternacht herum, und das viele Herumschweben hatte ihn g e schwächt.
    Cera bedankte sich bei ihm, verabschiedete sich und blieb danach einfach auf dem Toilettendeckel sitzen. Eine Stunde lang hörte sie keinen Ton, bis auf ein nur zu erahnendes Rascheln. Vermutlich eine Maus. Dann erst wagte sie sich nach draußen und schlich über den Gang in Richtung ihrer Garderobe, um ihre Kleider zu wechseln. Sie wollte raus aus dem Kostüm, raus aus Julias Totenkleid, das sie i m mer noch trug. Es war ih r , als roch der Stoff nach der stehenden Luft in einer Gruft, obgleich sie natürlich wusste, dass das Unsinn war. Es war bloß ein Kostüm.
    Sie öffnete die Tür zu ihrer Garderobe. Und erstarrte in der Bew e gung.
    Etwas … war nicht mehr richtig.
    Irgendetwas in diesem Raum war nicht so, wie es vorhin noch g e wesen war, sie spürte eine Veränderung in ihrem Refugium, die nicht sie verursacht hatte , s ondern jemand anders. Hektisch sah sie sich um, kontrollierte den Spiegel, öffnete den Schrank und strich mit der Hand über die Kostüme, die an Haken hingen und sanft hin und her schaukelten. Das schien alles nicht anders zu sein, als es am frühen Abend gewesen war. Aber irgendetwas war anders.
    Sie glaubte schon, dass ihre Sinne ihr vor Nervosität Streiche spie l ten, als ihr Blick auf ihre Puderdose fiel. Und dann kam ihr die E r kenntnis. Es war der Geruch. Sie roch den zarten, zuckerwattigen Puderduft noch, aber er hatte sich mit einem anderen gemischt, e i nem erdigen, herben Aroma, das ihr eine unangenehme Angst im Hinterkopf flackern ließ. Es war kein vollkommen fremder Geruch, aber sie konnte auch nicht benennen, wann er ihr schon einmal au f gefallen war. Dazu war er viel zu schwach. Er bewies bloß eins: J e mand war hier gewesen und hatte ihre Puderdose angefasst – j e mand, dem das nicht zustand.
    Mit einem Mal begann ihr mechanisches Herz zu rasen. Sie war ganz allein in diesem Trakt des Theaters. Alle anderen Mädchen w a ren in ihre Privatgemächer gegangen; hier, hinter der Bühne zw i schen den Garderoben, war niemand mehr. Furcht und Einsamkeit legten kalte Hände um Ceras Hals.
    Sie verließ die Garderobe hastig und versuchte dabei vergeblich, leise zu sein. In ihrer Eile schlug sie die Tür mit einem Knall zu. Ihr Atem war laut. Auf den Treppen trommelten ihre Füße ein Stakkato auf den Stufen. Doch sie dachte nur noch daran, in ihr Zimmer zu kommen. Dorthin, wo in jedem Raum eine Puppe die Nacht ve r streichen ließ.
    Endlich erreichte sie ihre Tür, riss sie auf und drehte sofort alle Gaslichtlampen in ihrer Kammer hoch.
    Und dann roch sie es wieder. Er war auch hier gewesen.
    Ceras Blick huschte zur Voliere, in der ihre Kanarien schliefen. Sie sah nur die feinen Gitterstäbe, die Sitzstangen und die Äste, die sie ihnen zum Klettern in den Käfig gestellt hatte. Sie sah das geflocht e ne Nest, die Hirse zum Knabbern und die Schaukel, auf der die V ö gel so gern zu zweit saßen. Von den kleinen Körpern war nichts zu sehen.
    Cera ging näher. Ihre Handfläche berührte ihre Lippen, noch ehe sie es sah. Mit der anderen Hand tastete sie nach einem Stuhl, weil sie plötzlich das Gefühl hatte, ihre Beine würden unter ihr nachg e ben.
    Bei allen Dschinns, das durfte nicht sein!
    Alle fünf Kanarienvögel lagen als kleine, gelbe und orangefarbene Flecken auf dem Boden der Voliere im blutrot gefärbten Sand.
    Allen hatte man die Brust aufgeschlitzt und das winzige Herz he r ausgerissen.
     
    Meine Melissa,
     
    ach, liebste, kleine Melissa, was habe ich getan?
    Ich schreibe Dir von

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