Schluß mit cool (German Edition)
und damals mußte man auch nicht nachts alle Türen dreimal abschließen.«
Sie hat noch mehr gesagt, viel mehr, denn die junge Journalistin, die man zu ihr ins Haus geschickt hat, war so sympathisch – auch ein Katzenmensch –, aber es gab nicht unbegrenzt Platz, und die Story besaß zwar Nachrichtenwert, entbehrte allerdings jener Brutalität und Entsetzlichkeit, die Zeitungsleser inzwischen erwarten. Während des Interviews zum Beispiel hatte meine Witwe viele Sätze mit der Wendung »Als mein Mann noch am Leben war« begonnen, aber kein einziger schaffte es am Redakteur vorbei.
Nachts
Es ist Weihnachten, eine klare, kalte Nacht, der Himmel über dem Haus wankt geradezu unter der Last der Sterne. Meine Witwe weiß nichts von den Sternen – oder wenn doch, dann nur theoretisch. Sie geht nicht viel aus dem Haus, außer zum Einkaufen natürlich, aber das Einkaufen findet fast ausschließlich tagsüber statt. Im Augenblick sitzt sie im großen Wohnzimmer, auf der Kirschholzcouch vor dem Kamin, in dem sich seit zwanzig Jahren die kalte Asche türmt. Sie war beim Stricken, die grellblauen Nadeln und die Garnkugeln liegen in ihrem Schoß, zusammen mit drei bis vier Katzen. Sie hat den Kopf zurückgelegt, er ruht auf dem breiten Holzbrett der Couch, und sie starrt hinauf in die hohe Giebeldecke über sich, denkt nicht an den Himmel darüber und die kalten Stecknadeln aus Licht, die sich auf der Bahn der Ekliptik drängen. Sie denkt auch nicht an das Dach oder den Dachdecker oder den Regen. Sie denkt eigentlich an gar nichts.
Bei ihr finden sich nur wenig Verweise auf die Feiertage – ein paar Weihnachtskarten, die auf dem Couchtisch verstreut liegen, ein Kranz aus künstlichen Tannenzweigen, den sie vor sechs Jahren um eine der Wandleuchten drapiert hat. Sie gibt sich keine Mühe mehr mit den handgeschnitzten Elfen und Engeln, der Krippe aus Hartholz, den bunten Lämpchen und Kugeln. Das alles war einmalig zu seiner Zeit, der Zauber von Weihnachten, wenn unser Sohn im Schlafanzug die Treppe hinunterkam, Jahr für Jahr, und dabei wurde er größer und skeptischer, die Engel verloren ihren Glanz, der Stapel von eingepackten Geschenken wurde dafür entsprechend größer, aber diese Zeiten sind vorbei. Sie und Inge hatten geplant, einander am Nachmittag zu treffen und Geschenke auszutauschen, aber dann hatten sie beide nicht allzuviel Lust darauf, und außerdem wollte Inges Wagen nicht starten. Was ich mir gewünscht hätte: daß unser Sohn im Taxi vorgefahren wäre, extra aus Indien eingeflogen, um mit seiner Mutter Weihnachten zu feiern –und er hatte es ja auch geplant, hatte sie überraschen wollen, aber dann fegte eine neue, besonders virulente Abart der Cholera durch die Flüchtlingslager, und er konnte einfach nicht weg.
Also sitzt sie vor der Asche des kalten Feuers und lauscht dem leisen Ächzen und Poltern des alten Hauses. Die Nacht wird dunkler, die Sterne ziehen sich zurück, höher und höher wandern sie in das Rückgrat des Himmels. Sie wartet auf etwas, das sie nicht benennen kann, eine wunderschöne alte Dame inmitten ihrer Katzen, meine Witwe, die einfach wartet. Alles ist ganz still.
Die unterirdischen Gärten
Doch verkennt mich, wer glaubt, daß ich
feige bin und etwa nur aus Feigheit meinen
Bau anlege.
Franz Kafka: Der Bau
Alles, was er wirklich konnte, war graben. Er grub, um zu essen, zu atmen, zu leben und zu schlafen. Er grub, weil die Erde da war, zu seinen Füßen, und er wurde bezahlt dafür, sie umzugraben. Er grub, weil es ein Sakrament war, weil es ehrenwert und heilig war. Als kleiner Junge in Sizilien stand er mit seinen Brüdern zusammen unter der Sonne, die wie ein Hammer war, und Tag für Tag trieben sie ihre Spaten in die Haut der ehrwürdigen alten Erde des Obstgartens ihres Vaters. Als junger Mann in Boston und New York buddelte er sich wie ein Maulwurf unter Straßen und Flüssen hindurch, schlug die Wände von U-Bahn-Tunneln und Aquädukten ab, ließ die Spitzhacke niedersausen, hob die Schaufel, räumte die Erde. Und jetzt war er in Kalifornien, mit Zweiunddreißig und mit der Besitzurkunde über dreißig kahle und von der Hitze gebackene Hektar Land in der Hosentasche. Und er buddelte.
FREUNDE! KOMMT INS LAND DER FRUCHTBARKEIT, WO DIE SONNE JAHRAUS, JAHREIN SCHEINT UND DIE ERDE NIEMALS FRIERT! KOMMT IN DAS LAND, DAS DIE ENGEL SEGNEN! KOMMT NACH KALIFORNIEN! SCHREIBT ZURÜCK AN C/O EUPHRATES MEAD, BOX 9, FRESNO/KALIFORNIEN.
Ja, Frost gab es hier nie, das war
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