Schluß mit cool (German Edition)
können? Oder überhaupt Neuigkeiten, die sich auch nur ansatzweise als gut bezeichnen ließen? Aber meine Witwe ist nichts so sehr wie beharrlich, und beim zwölften Klingeln hebt Inge doch ab. »Hallo?« schnarrt sie mit ihrer Stimme, die noch nie besonders melodiös klang, jetzt aber nur noch eine luftschnappende Ruine der Akustik ist. Meine Witwe setzt sie von ihrem Problem in Kenntnis, hört sich eine Gardinenpredigt an, die mindestens fünf Minuten lang dauert und gleich noch ein Dutzend alter Streitpunkte aufs Tapet bringt, dann wartet sie noch einmal eine Viertelstunde am Hörer, während Inge in die Garage hinausschlurft, um im Wagen nachzusehen. Klick-klick, dann ist sie wieder dran, und sie hat schlechte Nachrichten für meine Witwe: das Portemonnaie ist nicht da. Ob sie sicher ist? Sicher ist sie sicher. Sie ist ja kein Idiot. Sie hat immer noch zwei Augen im Kopf, oder etwa nicht?
Die nächsten zwei Stunden vergehen damit, daß meine Witwe das Telefonbuch sucht. Ihr Plan ist, die Nummern sämtlicher Läden nachzuschlagen, wo sie eingekauft haben, und von dem Thai-Restaurant auch – sie macht sich Sorgen, und die Katzen haben Hunger. Doch das Telefonbuch ist nicht zu finden. Nachdem sie ein Dutzend Katzen von den Möbeln im großen Wohnzimmer verscheucht, die Speisekammer und den Besenschrank durchwühlt und dabei jede Menge Sachen entdeckt hat, die seit Jahren verschollen waren, ist ihr entfallen, wonach sie eigentlich sucht, und sie verliert sich in Tagträumen über einem alten Fotoalbum, das im Schubfach unter dem Ofen zwischen Töpfen und Pfannen aufgetaucht ist. Sie setzt sich an den Tisch, ein Halbmond aus gelbem Lampenlicht erhellt ihre Züge, und betrachtet die sichtbaren Beweise der Dinge, die einmal waren. Es sind Bilder von uns beiden dabei, wie wir vor wechselnden exotischen Hintergründen in die Kamera grinsen, vor Weihnachtsbäumen und Geburtstagstorten, Minaretten und Bergketten, eine lange Abfolge von Jahren klappt vorüber, unser Sohn, sein Hund, seine erste Katze. Ihr Herz – das Herz meiner Witwe – zerspringt fast. Es ist vorbei, all das ist vorbei, und welchen Sinn hat es, noch weiterzuleben, was soll denn das Ganze? Ihre Jugend in Buffalo, die Jahre am College, erste Verliebtheit, große Liebe und Hoffnungen und die Wünsche an die Zukunft – was hatte das alles gebracht, wo war es nur hin? Die Fotos schreien sie an. Sie brüllen aus dem Album heraus. Sie stoßen und schubsen sie und rauben ihr den Atem. Und dann, gerade als die Welt über ihr einzustürzen droht, läutet das Telefon.
Bob Smith alias Smythe Roberts,
Robert P. Smithee, Claudio Noriega
und Jack Frounce
»Hallo?« meldet sich meine Witwe, und ihre Stimme klingt wie das Klicken der Fallriegel in einem alten Torschloß.
»Mrs. B.?« fragt eine Männerstimme.
Meine Witwe ist wachsam, aber höflich, sie ist eine Frau, die immer wieder im Leben Menschen ihr Vertrauen entgegengebracht hat, was auch meistenteils mit Wohlwollen und Großzügigkeit erwidert wurde. Aber sie verabscheut Telefonkeiler, vor allem diese Typen mit faulen Investmentprojekten, die mit Vorliebe alte Leute ausplündern – die Fernsehnachrichten waren in letzter Zeit voll von solchen Storys und der Rundbrief des Seniorenverbands ebenfalls. Sie zögert einen Augenblick, dann flüstert sie kaum hörbar: »Ja?«
»Mein Name ist Bob Smith«, setzt der Anrufer fort, »und ich habe Ihre Handtasche gefunden. Jemand dürfte sie vor Macy’s in eine Mülltonne geworfen haben – Bargeld ist natürlich keins mehr drin, aber Ihre Kreditkarten sind noch da und Ihr Führerschein und das alles. Hören Sie, ich dachte mir, ich bringe Ihnen das vorbei – ich meine, ich könnte es auch in einen Umschlag stecken, aber kann man der Post heutzutage noch trauen?«
Meine Witwe brummt beifällig. Sie hat auch kein Vertrauen in die Post. Oder eigentlich hat sie darüber noch nie richtig nachgedacht. Sie schließt die Augen und sieht den Briefträger vor sich, in seinen graublauen Shorts mit dem schwarzen Streifen an der Seite, dem sauber gescheitelten Haar mit dem altmodischen Schnitt, seinem Lächeln und diesem wachsamen Blick, der alles und jeden auf seiner Tour zu registrieren scheint, als nähme er die Dinge höchst persönlich, als würde er nach dem Füllen der Briefkästen auch noch in den Straßen vor und hinter jedem Haus Streife gehen. Vielleicht vertraut sie der Post ja doch. Durchaus möglich.
Dann sagt Bob Smith: »Die Post würde drei Tage dauern, und
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