Schluß mit cool (German Edition)
Indien. Er ist Arzt.«
»Also ist außer Ihnen niemand hier«, sagt Bob Smith, und in diesem Moment verspürt meine Witwe eine erste leise Regung von Unruhe. Am Rande ihres Gesichtsfelds erhebt sich eine Katze und streckt sich gemächlich. Die Sonne fällt schräg durch die Fenster und bescheint das Skelett der abgestorbenen Palme in dem großen Blumentopf in der Ecke. Es ist totenstill. Als Antwort auf die Frage nickt sie nur und preßt sich die Handtasche an die Brust, dabei denkt sie: Es ist alles gut, jetzt bring ihn einfach wieder an die Tür und sag ihm Dankeschön, sag ihm, er bekommt auch eine Belohnung, per Post, er braucht nur seine Adresse zu hinterlassen...
Aber Bob Smith hat nicht vor zu gehen. Vielmehr baut er sich jetzt bedrohlich vor ihr auf, sein Gesicht ist aus der Nähe faltig und zerfurcht wie ein alter Postsack, die Augen glitzern wie etwas, das auf der Straße zerquetscht worden ist. »Okay, also wo haben Sie Ihren Schmuck?« sagt er, und in seiner Stimme schwingt nichts mehr vom barmherzigen Samariter mit, keine Freundlichkeit, kein Mitgefühl oder auch nur Höflichkeit. »Können Sie den überhaupt finden in diesem Drecksloch? Hä?«
Meine Witwe sagt darauf kein Wort.
Plötzlich hat er seine Hand an ihrem Arm, hält das Gelenk gepackt wie mit einer Handschelle, und er zerrt an ihr, brüllt ihr ins Gesicht. »Du blöde alte Sau! Du wirst bezahlen dafür – Scheiße, und wie du bezahlen wirst. Hast du Bargeld da? Na? Geld? Weißt doch, was das ist, oder?« Und dann, ehe sie ihm überhaupt darauf antworten kann, schlängelt sich seine andere Hand heran, die rechte, und versetzt ihr einen Schlag, so daß sie trotz der zupackenden Hand nach hinten fliegt wie ein Tier, das in den Kinnbacken einer Falle gefangen ist.
In über siebzig Jahren ist meine Witwe nicht geschlagen worden, nicht seit sie mit ihrer Schwester wegen einer Schüssel Kekse in Streit geraten ist, als ihre Mutter kurz die Küche verließ, um ans Telefon zu gehen. Es versetzt ihr natürlich einen Schock –alles ist so schnell passiert –, aber sie ist auch zäh, meine Witwe, so zäh im Innern wie sonst kaum jemand. Niemand schlägt sie. Niemand mogelt sich mit irgendwelchen Lügen in ihr Haus und... Na ja, ihr versteht schon. Und in der nächsten Sekunde fährt ihr freier Arm aus der Handtasche hervor, und die Hand hält eine uralte Dose mit Reizgas, und weil es ein gutes und stimmiges Universum ist, das ich hier entwerfe, funktioniert das Aerosolspray auch noch, obwohl die Haltbarkeitsfrist vor über zehn Jahren abgelaufen ist, und ehe sie weiter nachdenken kann, krümmt sich Bob Smith auf dem Boden in einem Wust aus Katzendreck, Wollmäusen und Fusseln, fluchend reibt er sich die Augen. Und mehr noch: als meine Witwe sich zur Tür wendet und gerade hinausrennen und so laut um Hilfe schreien will, wie es ihre eingetrockneten Lungen schaffen, wer steht da auf den Eingangsstufen, wenn nicht Megan Capaldi, die selbst gellend schreit.
In ihren eigenen Worten
Wie gesagt, meine Witwe hat keine Zeitungen abonniert, nicht mehr. Aber Megan Capaldi bringt ihr am nächsten Tag zwei Exemplare vorbei, denn ihrer beider Bild ist auf der Titelseite, unter der Schlagzeile Rüstige Frau in den Achtzigern vereitelt Einbruchsdiebstahl. Da ist sie, leicht vorgebeugt und in die Kamera blinzelnd, Arm in Arm mit Megan Capaldi, die von ihrem Mobiltelefon aus den Notruf gewählt und meine Witwe in Sicherheit gebracht hat, während die Polizei von San Roque Bob Smith Handschellen anlegte und ihn im Fond eines Streifenwagens verstaute. Auf dem Foto, das die Vorderfront unseres Hauses sehr vorteilhaft zeigt, wie ich finde, besonders die Fenster mit den verschlungenen Mustern ihrer Holzrahmen, die ich im Laufe meiner Amtsdauer hier mindestens dreimal abgelaugt, geschmirgelt und lackiert habe, lächelt meine Witwe. Ebenso Megan Capaldi, die gar nicht übel aussehen würde, wenn sie sich nur gerade hielte. Wie sie beide so dastehen, das Haus über ihnen wie ein Pilz in körnigem Schwarzweiß, kann man sie kaum auseinanderhalten.
Auf Seite zwei, am Ende des Artikels, erhält meine Witwe Gelegenheit zu ein paar nachdenklichen Bemerkungen über ihr Martyrium. »Eine Schande ist das«, wird dort zitiert, »wie solche Menschen uns Senioren ausplündern – und dazu kommen noch diese Leute, die einem am Telefon irgendwas aufschwatzen wollen, die sind genauso schlimm. Früher gab es so etwas nicht, bevor jeder so mißtrauisch gegen alle anderen geworden ist,
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