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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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Videosafari zum Ngorongoro-Krater oder einer Konferenz über wirtschaftliche Entwicklung in Malawi zurückkehrte, die Tröpfchenmassen der Infektion herumschleppte. Danielle, deren Stimme für mich wie eine Droge war, von der ich aber loskommen wollte, zumindest für eine Weile, versprach mir damals, mir nach den selbstauferlegten eineinhalb Monaten Einsiedlerdaseins ein Wochenende lang in meiner Hütte Gesellschaft zu leisten, aber leider schaffte sie es nicht. Ebensowenig wie irgend jemand anders.
    Man ist wirklich einsam da oben in den Bergen – darum ging es mir ja auch –, und den ersten Hinweis darauf, daß etwas schieflief, erhielt ich aus dem Radio. Es war ein warmer, vollblütiger Tag im Frühherbst, die Sonne hing wie ein Kinderball im Wipfel der Jeffreykiefer vor dem Fenster, und ich wusch gerade das Geschirr nach dem Essen ab, als eine sanfte und melodiöse Stimme den »Klassik-Nachmittag« unterbrach, um durchzusagen, daß in der New Yorker U-Bahn die Menschen aus den Augen bluteten und Galle erbrachen, und in Washington kollabierten sie massenhaft auf den Straßen. Die Behörden seien durchaus in der Lage, mit dem, was sie einen unbedeutenden Ausbruch der Schweinepest nannten, fertig zu werden, sagte der Sprecher und warnte die Zuhörer vor Panikreaktionen, aber auf einmal klang es, als ob er tief und kehlig kicherte, und dann, mitten in seinem nächsten Satz, nieste er – eine kontrollierte Explosion, die sich über die Ätherwellen ausbreitete, um unheilschwanger in zehn Millionen bebenden Lautsprechern zu detonieren –, worauf das Radio eine Zeitlang völlig verstummte. Irgendwann legte jemand eine CD mit Tod und Verklärung von Richard Strauss auf, die dann den Rest des Nachmittags immer wieder von vorn begann.
    Telefonieren konnte ich nicht – es sei denn, ich marschierte die dreieinhalb Kilometer bis zur Straße, wo ich meinen Wagen geparkt hatte, und fuhr dann weitere zehn nach Fish Fry Flats, den nächstgelegenen Ort (28 Einwohner), und benutzte das öffentliche Telefon in der Kneipe/Restaurant/Souvenirladen/Kleinsupermarkt/Tankstelle dort –, deshalb drehte ich den Senderknopf meines Radios rauf und runter, um doch noch von irgendwo Nachrichten aufzufangen. Der Empfang ist reichlich mies oben in den Bergen – mal kriegt man Bakersfield, Fresno, San Luis Obispo oder sogar Tijuana rein, dann wieder gar nichts –, und ich hörte an diesem Nachmittag, abgesehen von der erwähnten Tondichtung, nichts weiter als statisches Rauschen. Ich war machtlos. So würde eben geschehen, was geschehen mußte, und die schmutzigen Einzelheiten würde ich eine Woche später erfahren, genau wie ich von allen sonstigen Krisen, Skandalen, Knüllern, Coups, Wirbelstürmen, Kriegen und Waffenstillständen hören würde, von denen die Welt erschüttert worden war, während ich Zwiesprache mit Erdhörnchen und Buntspecht gehalten hatte. Es war witzig. Irgendwie hatten die großen Dinge hier oben in den Bergen nur wenig Bedeutung, wo das Leben so viel elementarer und unmittelbarer ablief und die wesentlichen Sorgen des Tages sich darum drehten, die Wasserpumpe zum Ansaugen zu bringen und den widerspenstigen alten Gasofen in Gang zu setzen, ohne gleich die Hütte abzufackeln. Ich griff mir ein zerlesenes Taschenbuch mit Kurzgeschichten von John Cheever, das irgendwer während einer der früheren Inkarnationen der Hütte dort liegengelassen hatte, und vergaß die Vorkommnisse in New York und Washington völlig.
    Später, als mir endlich klar wurde, daß ich ohne die Gefahr einer bleibenden Schädigung keinen einzigen Takt Strauss mehr überstehen würde, schaltete ich das Radio ab, zog mir eine leichte Jacke über und ging hinaus, um das Bild zu genießen, wie entlang des Pfades zur Straße der Herbst die ersten Espen bunt angetupft hatte. Die Sonne neigte sich jetzt tief im Westen, in den Sträuchern und im Unterholz sammelte sich bereits die Nacht, und die hohen Bäume zogen dunkelblaue Schatten. Es lag der kaum spürbare Hauch einer Kühle in der Luft, eine Vorahnung des Winters, und ich dachte an einfache Freuden wie im Kamin Feuer anzuzünden, mir ein zünftiges Essen zu kochen und die Abende gemütlich mit einem Buch in der einen und einem Scotch mit Drambuie in der anderen zu verbringen. Erst gegen neun oder zehn, es war längst dunkel, fielen mir die blutenden Augen und der verhängnisvolle Nieser wieder ein, und obwohl ich fast überzeugt war, daß es eine Ente war oder vielleicht der Überrumpelungsangriff

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