Schluss mit dem ewigen Aufschieben
Selbstverachtung her. Nach einigen Jahren harten Aufschiebens als Schutz gegen Scham haben Sie zwangsläufig Ihre Spontaneität
auf null gebracht. Spontan zu sein, sich auf die Stimmung und die Gelegenheit einzulassen, kann immer auch das Risiko bedeuten,
auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Irgendein Gefühl wird ausgelöst, und da nach mehreren Jahren so viele Gefühle mit
der abgewehrten Beschämung verknüpft sind, bleibt Ihnen nur eins: Sich gegen Gefühle überhaupt |118| zu panzern. Wenn Sie aber nichts mehr fühlen, weder Freude noch Schmerz, verschwindet auch jegliche Motivation. Erinnern Sie
sich: Es geht alles wie von selbst, wenn Ihre Emotionen in einer bestimmten Situation angeregt werden und Ihre Aufmerksamkeit
auf Ihre positiv besetzten Ziele ausgerichtet ist. Ohne Gefühl haben Sie jedoch nur eines: keine Lust.
Selbstwertstörungen
Was immer Sie tun, ob Sie fleißig arbeiten oder gekonnt ausweichen, ob Sie Erfolg verbuchen oder Misserfolg, immer registriert
Ihr innerer Zähler den Beitrag für Ihr Selbstwertgefühl. In seiner positiven Ausprägung erleben Sie es als Überlegenheits-
und Triumphgefühl, als Selbstzufriedenheit und Stolz auf sich. Ihre negativen Selbstwertbeurteilungen erscheinen Ihnen als
Minderwertigkeits- und Unterlegenheitsgefühl. Andere erleben in Ihrer Ausstrahlung den Narzissmus, der Ihnen eigen ist. Immer
spielt also eine entscheidende Rolle, wie Sie Ihren Wert verglichen mit anderen Menschen einschätzen. Außerdem tragen sie
auch in Hinblick auf Selbstwertüberzeugungen innere Maßstäbe mit sich herum. Für die meisten Menschen verträgt sich zum Beispiel
Machtlosigkeit nicht mit hohem Selbstwert. Geraten sie in eine Situation, in der sie nicht handeln können, fühlen sie sich
herabgewürdigt.
Nur eine kleine Gruppe von Aufschiebern hat ein aufgeblähtes Selbstwertgefühl. Sie treten großspurig auf und betonen, wie
gut sie sind und welche Erfolge sie in der Vergangenheit erzielt haben. Es ist die Art von Menschen, die Ihnen auf einer Party
ungefragt erzählen, wie wichtig sie sind und welch gute Verbindungen sie haben, die sie Ihnen gerne zur Verfügung stellen.
Wenn Sie darauf einmal zurückkommen wollen, melden sich diese Leute nie. Ein aufgeblasenes Selbstkonzept ist in steter Gefahr,
dass ihm einmal die Luft ausgeht (oder herausgelassen wird), deswegen empfiehlt sich Aufschieben. In der Regel weisen typische
Aufschieber jedoch ein niedriges Selbstwertgefühl auf. Sie glauben, dass es durch besondere Leistungen und Ergebnisse kompensiert
werden kann. So kommt es, dass sie häufig Perfektionisten sind und völlig überhöhte Ansprüche an sich stellen. Mit diesen
beiden Einstellungen werden durchschnittliche Arbeitsergebnisse, |119| langwierige Kleinarbeit, Durststrecken und unspektakuläre Ergebnisse per se zu einer Bedrohung des Selbstwertgefühls, da sie
mit völligem Versagen und Scheitern gleichgesetzt werden.
Menschen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl sind darüber hinaus oft sehr einseitig, fixiert auf ihre Arbeit oder
einen
anderen Bereich ihres Lebens.
Wenn Sie sehr depressiv sind, dann liegt Ihr Selbstwert Ihrer Meinung nach bei null oder sogar darunter, und alle anderen
erscheinen Ihnen als wertvoller. Menschen mit Minderwertigkeitsgefühlen haben besondere Schwierigkeiten dabei, sich selbst
zu verwirklichen. Anders als Fernsehstorys und Selbstverwirklichungsromane es uns nahe legen, fühlt sich Autonomie vor allem
dann falsch, herzlos und kalt an, wenn man nicht in ihr geübt ist. Es ist immer auch ein Wagnis, seinen eigenen Weg zu gehen,
und oft gibt es keine sofortigen Befriedigungen. Denken Sie an die Sonntagsspaziergänge mit Ihren Eltern. Anfangs fanden Sie
die ganz schön, aber als Sie älter wurden, langweilten Sie sich und wollten lieber etwas anderes machen. Sie wussten, dass
Ihre Eltern traurig sein würden, wenn Sie nicht mehr mitgehen. Sie zettelten aus Angst vor deren traurigen Blick einen Streit
an, sodass Sie schmollend zu Hause bleiben konnten, während Ihre Eltern verärgert abzogen. Nachdem Ihr inszeniertes Beleidigtsein
verschwunden war, wurde Ihnen langweilig und Sie wussten mit dem gewonnenen Freiraum möglicherweise gar nichts anzufangen.
Sie hatten Ihren Willen durchgesetzt, aber noch nichts, um Ihre Freiheit zu füllen und zu genießen.
Das gute Gefühl stellt sich erst ein, wenn die Ausübung der eigenen Autonomie nicht mehr ein seltener Ausnahmefall ist. Damit
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