Schluss mit dem ewigen Aufschieben
zur anderen zu kämpfen haben.
Aus der Hirnforschung der letzten Jahre ergibt sich auch der Befund, dass es erhebliche Unterschiede zwischen Gehirnen bezüglich
solcher Funktionen wie Übersicht, Handlungsplanung, Handlungskontrolle und Überwachung der Handlungsergebnisse und des Feedbacks
gibt. Erklärt wird dies mit Unterschieden in der Funktionsweise der sogenannten »exekutiven Systeme«, im präfrontalen Cortex
lokalisierbare Areale, die Managementfunktionen für die Umsetzung unserer Intentionen haben.
|125| Die Hirnforschung hat unsere Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass rein kognitive Absichten, die in der linken Gehirnhemisphäre
als bewusste Vorsätze gebildet werden, ohne Zuschaltung der Gefühle nichts bewirken. Gefühle drücken aus, wie wir etwas Wahrgenommenes
(bewusst oder unbewusst) bewerten. Unangenehme Reize, die Angst erzeugen, aktivieren die Mandelkerne, die ihrerseits im Körper
Veränderungen konstellieren, die ihn auf Abwehr oder Flucht ausrichten.
Aufschieben spielt sich auch im Gehirnstoffwechsel und auf hormoneller Ebene ab. Der Angstaufbau bei Erregungs- und Vermeidungsaufschiebern
geht einher mit der Ausschüttung der Stresshormone Cortisol und Adrenalin. Die Erleichterung, etwas auf den letzten Drücker
erledigt zu haben, ist biochemisch jedoch etwas ganz anderes als das Glücksgefühl, eine Sache gut und termingerecht erledigt
zu haben, das mit der Ausschüttung von Dopamin einhergeht.
Mehr Informationen über die Neurobiologie der Vorsatzbildung und der Umsetzungsschwierigkeiten finden sich in dem Buch
Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten: Warum es so schwierig ist, sich und andere zu verändern
von Gerhart Roth.
Aufschieben und Persönlichkeitspsychologie
Seit vielen Jahrzehnten forscht in Osnabrück Professor Julius Kuhl über die Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit, Motivation
und Aufgaben. Seine Theorie über das Zusammenwirken psychischer Systeme kann bestimmte Phänomene des Aufschiebens besonders
gut erklären und erlaubt auch Vorhersagen darüber, wie man die Handlungskontrolle verbessern kann. Kuhl geht von verschiedenen
Systemen aus, die – neuronal im Gehirn identifizierbar – wie folgt beschrieben werden können:
In der linken Hirnhälfte sind zwei Systeme untergebracht, die uns bewusst sind:
Ein Erinnerungssystem für schwierige Absichten, das sogenannte Intentionsgedächtnis. Komplexe Aufgaben kann man nicht einfach
durch impulsives Loslegen lösen, stattdessen ist es erforderlich, die Impulsivität zunächst einmal zu hemmen und die Absicht |127| im Gedächtnis festzuhalten. Fixiert man sich jedoch zu lange auf Intentionen, so schwächt man möglicherweise die Verbindung
zu den handlungsausführenden Systemen.
Ebenfalls bewusst ist das sogenannte Objekterkennungssystem: Es erlaubt uns, Aspekte der Innen- oder Außenwelt zu isolieren,
gewissermaßen scharf zu stellen und die Aufmerksamkeit vor allem auf Neuartiges, Überraschendes und auf Fehler auszurichten.
In der rechten Gehirnhälfte sind zwei Systeme lokalisierbar, die weitgehend unbewusst arbeiten:
Die Intuitive Verhaltenssteuerung erlaubt es, vor allem »gut sitzende«, also besonders eingeübte Handlungen ohne besondere
bewusste Anstrengung auszuführen – das erleben routinierte Autofahrer jeden Tag.
Das Extensionsgedächtnis, wie Kuhl das nennt, was man auch als
Selbst bezeichnen kann, ist ein weitgehend unbewusstes, aber potenziell dem Bewusstsein zugängliches System von in unterschiedlichen
Gedächtnissen abgespeicherten Erfahrungen, Eindrücken, Prozeduren. Das Selbst wird vor allem erfahrbar durch Gefühle, die
in der Neurobiologie als »somatische Marker« bezeichnet werden. Ist das Selbstsystem positiv involviert, dann fühlen wir im
Körper Lust und eine positive Energie.
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Schematische Darstellung der PSI-Theorie
»Für die Umsetzung des bewussten ICH
( Zielumsetzung
oder
Willensbahnung
) muss der Antagonismus (gestrichelter Pfeil) zwischen Intentionsgedächtnis und der Intuitiven Verhaltenssteuerung überwunden
werden. Für das Selbstwachstum gilt es, den Antagonismus (gestrichelter Pfeil) zwischen dem Erkennen von Einzelheiten (d.
h. ›Objekten‹, die aus ihrem Kontext herausgelöst sind) und dem Extensionsgedächtnis zu überwinden, das eine riesige Zahl
von Einzelwahrnehmungen verbindet, und zwar zu integrierten ›Erfahrungslandschaften‹, die auf die Bedürfnisse und Werte des
SELBST in seinem
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