Schluss mit der Umerziehung!
Führungsaufgaben â und oft sogar noch wichtiger â, bedeutet die bildliche Darstellung durch ein Organigramm aber vor allem eine Form des Unsichtbarmachens.
Sie erzeugt aber zugleich noch weiter Probleme: Wer im Organigramm offiziell aufgeführt ist mit einer Leitungsfunktion, wird nicht nur von anderen so wahrgenommen, sondern erlebt sich selbst auch aufgewertet, wichtig und leitet daraus eine veränderte Rolle ab. Die Positionierung einer Frau auf einer bestimmten Hierarchieebene in einem Organigramm wirkt keineswegs nur klärend und funktional, sondern sie produziert traditionelle und hinderliche Klischees von Führung in den Köpfen der »Führenden« und der »Geführten«. Wer oben steht, kann viel anordnen, wer unten ist, hat wenig zu sagen. Es zementiert Haltungen und Einstellungen, die in dieser Form gerade für Frauen kontraproduktiv sind, denn es stört das Bild und das Ideal des Machtgleichgewichts. Lieber gar keine Bilder als falsche Bilder, sagten wir uns und verzichteten auf eine solche Grafik.
Wer ist aber nun bei uns die Geschäftsleitung? Die erste und die zweite Führungsebene? Die dritte? Und danach? In der Realität gibt es selbstverständlich »normale« Leitungsfunktionen â aber mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt und nicht immer scharf definierten Profilen. Leitungsfunktionen können regional definiert sein (Standortleitungen), können sich auf die Leitung von Einrichtungen, Gruppen oder Klassen in Kindertagesstätten oder Schulen beziehen. Teilweise umfassen sie die Verantwortung für einen Produktbereich â beispielsweise die Entwicklung des Bereichs » EAP « â Employees Assistance Programme. Je nach Typ der Aufgabe, nach Marktentwicklung, aber auch nach den Regeln öffentlicher Auftraggeber sind solche Aufgaben mit gröÃeren oder geringeren Gehaltszuschlägen ausgestattet. Teilweise greifen die Verantwortlichkeiten von Führungskräften durchaus ineinander und übereinander â das alles, auch im Budget, klar und dauerhaft abzugrenzen, überfordert nicht nur jede Grafik und jede Software, jede Verwaltung, sondern auch die Wahrnehmungen der Einzelnen. Hier müssen in festen Abständen Absprachen getroffen werden zwischen den betroffenen Teams und den Leitungen.
Als wir vor zehn Jahren versuchten, für unsere Kunden und auch für uns selbst und die wachsende Zahl der Mitarbeiterinnen unsere Struktur in einem Organigramm abzubilden, war der Erfolg, dass einige Kolleginnen völlig frustriert waren, Tränen vergossen und Sinnkrisen erlitten, weil sie im Organigramm gar nicht vorkamen. Zu Recht, denn sie waren in der Organisation als wichtige und strategische Personen bekannt, sie brachten ihr Wissen in für die Zukunft bedeutende Arbeitsgruppen, Projektgruppen ein â aber sie bekleideten eben keine der wenigen offiziellen Führungspositionen. Davon gab es wenige, nicht etwa aus psychologischen Gründen der Rücksichtnahme auf die Befindlichkeit von Frauen, sondern zunächst vor allem auch aus finanziellen Gründen. Die Preise, die wir bei Unternehmen für unsere Dienste erzielen konnten, waren nicht hoch genug für eine starke Ausdifferenzierung der Gehälter. Um mehr Kolleginnen deutlich höher als andere zu bezahlen, hätten wir viele Gehälter relativ absenken müssen. Das ist zwar auf dem Arbeitsmarkt durchaus nicht unüblich, aber es widersprach unserem, meinem Verständnis von Gerechtigkeit und Fairness â und auch der Tatsache, dass die Kolleginnen ja Tätigkeiten mit hohen Anforderungen erfüllen mussten.
Heute sehe ich diese damals instinktiv oder notgedrungen gewählte Strategie als groÃe Chance. Alle Kolleginnen hätten sicher gern mehr verdient, aber gleichzeitig ist ihr gröÃter Antrieb das gute Klima, der Zusammenhalt und die relative Gleichheit untereinander, wenn auch in groÃer Bescheidenheit. Stärker und systematisch ausdifferenzierte Gehaltsstufen bringen in einem Umfeld unter Frauen weder Antrieb, noch Arbeitsfreude, noch bessere Leistungen, sondern eher Konflikte mit sich. Eine Art pragmatischer Sozialismus, gewürzt zunächst durch inhaltliche Karrieren und spannende Aufgaben und erst dann â in begrenztem Umfang â durch Positionen mit mehr Geld und Verantwortung, liefert die besseren Resultate in einem Frauenkosmos.
Bis heute leben wir deshalb bei diesem Thema im Ungefähren und
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