Schlussakt
das vermutlich so falsch war wie ihre
Haarfarbe und ihre Entschuldigung. Ich stellte mir eine aufgetakelte 70-Jährige
vor, die vom morgendlichen Fünf-Uhr-Geläute aus dem Bett getrieben wird und
ihre übermüdete Umwelt mit Anrufen terrorisiert: ›Sei mir nicht böse, aber ich musste mit dir sprechen, Gertrud!‹
»Mein Name ist Elke von Wonnegut«, fuhr sie fort. »Herr
Koller, ich möchte gleich zur Sache kommen. Es geht um den Vorfall gestern
Abend im Theater. Während der Figaro -Aufführung.«
»Um welchen Vorfall?«
»Den Tod dieser Garderobiere. Dieses schreckliche Ereignis.«
»Ja?«
»Weiß man schon, wer dafür verantwortlich ist? Ich habe
gehört, dass Sie mit der Polizei zusammenarbeiten.«
»Das haben Sie gehört?«
»Ja«, sagte sie und kicherte wieder.
Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen. Abgesehen davon, dass
mich ihre tüdelige Umschreibung des Mords ärgerte – ein Vorfall, für den jemand
verantwortlich zeichnete –, fragte ich mich, woher die Alte ihre Informationen
hatte.
»Ich arbeite nicht mit der Polizei zusammen«, sagte ich. »Die
würde sich für meine Hilfe bedanken.«
»Also ermitteln Sie auf eigene Faust?«
»Nein.«
»Ach so? Ich dachte …«
»Wer hat denn behauptet, dass ich in diesem Fall ermittle?«
»Freunde von mir. Sehen Sie, mein Bekanntenkreis ist groß,
und ich habe mit zahlreichen Menschen gesprochen, die Sie gestern vor Ort
gesehen haben. Bei der Arbeit sozusagen. Wobei das natürlich ein falscher
Eindruck gewesen sein kann.«
Ich sah zur Sicherheit noch einmal auf meine Armbanduhr. Fünf
nach acht, und sie hatte bereits mit zahlreichen Menschen gesprochen. Mochte
der von Wonnegut’sche Bekanntenkreis auch groß und illuster sein, ich wollte
nicht dazugehören. Wahrscheinlich hatten einige ihrer Busenfreunde meine
nächtliche Unterhaltung mit dem Rottweiler inklusive Erwähnung meines Berufs
aufgeschnappt und ihren Erlebnisbericht damit gespickt.
»Sagen wir mal so«, meinte ich. »Gestern stand ich noch vor
der Wahl, eigene Ermittlungen anzustellen, habe mich inzwischen aber dagegen
entschieden.«
»Und warum, wenn man fragen darf?«
»Private Gründe.«
»Interessant«, sagte sie, und man merkte, wie in ihrem alten
Kopf die Gedanken hin- und herschossen. »Das ist wirklich interessant, was Sie
da erzählen, Herr Koller. Zumal ich gestern Abend selbst in der Premiere war,
sofort nach Vorstellungsende allerdings gehen musste. Wissen Sie, die Oper ist
meine zweite Heimat. Ich bin Vorsitzende des Fördervereins.«
Ich schwieg.
»Nun, mein lieber Herr Koller … Würde es Ihnen etwas ausmachen,
zu mir zu kommen und mir Ihren Eindruck von der ganzen Angelegenheit zu
schildern?«
»Jetzt?«
»Ich lasse Ihnen ein zweites Frühstück servieren. Kaffee oder
Tee?«
»Moment, Frau von Wonnegut«, lachte ich überrumpelt und
kratzte mich am Kopf. »Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich wüsste nicht,
wieso ich das tun sollte.«
»Ach so, ach so«, gurrte sie ins Telefon und überschlug sich
fast vor Freundlichkeit. »Natürlich, Sie leben schließlich davon, dass man Ihre
Informationen käuflich erwirbt. Bitte, Herr Koller, darüber lässt sich reden.
Ich bin noch niemandem etwas schuldig geblieben, das ist mein Lebensmotto.
Kommen Sie erst einmal vorbei, damit wir uns unterhalten können, anschließend
klären wir das Finanzielle. Wie erwachsene Leute. Derweil erfahren Sie von mir,
warum wir vom Förderverein wegen dieser Geschichte so besorgt sind.«
»Ich fürchte, ich kann Ihnen da nicht viel erzählen. Nicht
mehr als Ihre Bekannten, die gestern vor Ort waren.«
»Aber Sie haben mit Herrn Nagel gesprochen, nicht wahr? Welchen
Eindruck hat er auf Sie gemacht? Glauben Sie, er hat irgendetwas mit dem Mord
zu tun?«
»Keine Ahnung.«
»Nun stellen Sie Ihr berufliches Licht nicht unter den
Scheffel, Herr Koller. Sprechen wir einfach in Ruhe bei mir zu Hause darüber.
Frau Stein wird Ihnen ein ausgezeichnetes Frühstück zusammenstellen.«
Mein Magen knurrte. Immer noch war mir ein Rätsel, warum mich
die Alte sprechen wollte. Was erhoffte sie sich von einem netten Plausch bei
frischen Brötchen und Orangensaft? Exklusivinformationen für den nächsten
Kaffeeklatsch? Oder mehr?
»Um zehn muss ich in der Stadt sein«, sagte ich mit einem
weiteren Blick zur Uhr. »Ein Termin, den ich unmöglich verschieben kann.«
»Ich wohne in der Altstadt, und es wird höchstens ein
Stündchen dauern.«
»Na, dann
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