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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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ihr macht einen auf ästhetischen Stellungskrieg. Also raus mit der Sprache:
Was wolltet ihr in Nagels Haus?«
    Der Junge schluckte und sah zu Boden. Sein Widerstand war
gebrochen, was blieb, war ein bedröppelter 20-Jähriger mit abstehenden Ohren
und rasiertem Eierkopf, der verloren in einer Männertoilette auf den
Richterspruch wartete. Sein schönes Motorola-Handy war atomisiert, schlimmer
ging es kaum.
    Also begann er zu erzählen.
    Es war eine ziemlich alberne Geschichte, aber nicht halb so
albern wie der Auftritt des Bebrillten unten im Saal oder der des Blonden in
der Ölmühle . Die fünf Jungs wussten tatsächlich nicht, wohin mit ihrer
Zeit, mit ihrem Geld und ihren verschrobenen Ideen. Ließen die intellektuellen
Muskeln spielen, und keiner schaute hin. Das fuchste sie. Ihr Ton wurde
aggressiver. Als ihr Auftritt im Karlstorbahnhof feststand, hob das die Laune,
aber dann kamen die Fragen: Was sollte man dem verwöhnten Publikum bieten? Wie
schaffte man es, sich ins kollektive Gedächtnis einzubrennen? Eine Aktion
musste her, eine ebenso authentische wie durchgestylte Aktion, sonst konnte man
gleich einpacken. Man hatte schließlich einen Anspruch. Eine Performance mit
der Durchschlagskraft einer Landmine und der Eleganz eines Pas de deux.
    Aber was? Da war guter Rat teuer. Der eine wollte Kaninchen
auf der Bühne erdrosseln und dazu Rilke zitieren. Der Zweite hatte irgendwas
mit einer Karre Jauche vor. Natürlich, man konnte auch einen Packen Geldscheine
essen oder das Publikum zum Sammeln von Ohrenschmalz animieren. Aber all das
war schon einmal da gewesen, die Kunstszene hatte sich darüber erregt und daran
gewöhnt. Wo blieb die Authentizität, wenn alles nur ein müder Abklatsch war?
    Aus dieser Sackgasse hatten sie nicht herausgefunden. Sie
waren müde, frustriert, gereizt, als einer von ihnen am Sonntag vorschlug, der Ölmühle einen Besuch abzustatten. Einer Kneipe, die in den letzten Zügen lag, mit
einem Inventar, das zwischen Tagesessen und Spätlese verhökert wurde, und einer
Klientel, die sich selbst überlebt hatte. Vielleicht ließ sich hier ein Rest
von Authentischem erhaschen.
    Ließ es natürlich nicht,
und so kam den mies gelaunten Jungs die kleine Auseinandersetzung mit mir
gerade recht. Wenigstens ein bisschen Dampf ablassen! Am nächsten Tag jedoch
die Sensation: Mord im Heidelberger Stadttheater! Wenn das mal keine authentische
Aktion ersten Ranges war. Die fünf setzten sich zusammen und überlegten, wie
man daraus künstlerisches Kapital schlagen könnte. Man müsste den Tatort
filmen, die Obduktion der Leiche, die Verhaftung des Mörders. Schöne Ideen,
leider kaum durchführbar. Noch drei Tage bis zur Performance; noch zwei. Am
Mittwoch quollen die Neckar-Nachrichten über vor sensationellen
Nachrichten: ein zweiter Mord; Bernd Nagel verhaftet und Hauptverdächtiger;
eine Stadt in Aufruhr. Verblüfft stellten die fünf fest, dass Nagels Konterfei
in der Zeitung dem Passfoto glich, das sie aus der Ölmühle mitgenommen
hatten. Man musste sich nur den Schnurrbart wegdenken. Ein Wink des Himmels,
der ihnen das Abbild eines Mörders zugespielt hatte!
    Höchste Zeit zu handeln.
Der Blonde schnappte sich eine Videokamera und den Benjamin, fuhr mit beiden
nach Schlierbach und bezog vor dem Haus Posten. Als sich nichts rührte,
schickte er den Kleinen hinein.
    »Ach nein?«, sagte ich. »Er hat dich vorgeschickt, der
Feigling?«
    »Einer musste ja Schmiere stehen«, murmelte er.
    »Mach weiter.«
    Es ging exakt so vor sich,
wie ich es mir ausgemalt hatte. Der Junge steigt durch die Küche ein und hat
gerade angefangen sich umzusehen, als er von draußen ein doppeltes Hupsignal
hört. Das vereinbarte Warnzeichen. Er sieht Marc Covet aufs Haus zukommen,
gerät in Panik und versteckt sich hinter der Tür. In Griffweite ein schwerer
Kerzenständer. Anstatt zu klingeln und wieder zu verschwinden, öffnet der
Fremde die Eingangstür mit einem Schlüssel und tritt ein. Zack.
    »Was sollte ich denn tun?«, verteidigte sich der Junge. »Er
durfte mich doch nicht sehen.«
    »Und dann?«
    »Habe ich die Fliege gemacht. So schnell wie möglich.«
    »Und die Kamera? Der schöne Film? So eine Gelegenheit kommt
nie wieder!«
    »Vergiss es. Ich bin sofort abgehauen. Ohne mich noch einmal
umzusehen.«
    »Du hast nichts mitgenommen? Keine Krawatte des Mörders?«
    »Nein!«
    »Wenigstens dein Opfer wirst du doch gefilmt haben. Überleg
mal, so eine

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