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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Bahnhof feierte, passte auf den ersten Blick nicht zur massenfeindlichen
Haltung ihrer Erfinder. Aber der Heidelberger Karlstorbahnhof ist nur noch
minimal Bahnhof: zwei Gleise, zwei Bahnsteige an den Steilhang gepresst,
fertig. Das Gebäude selbst dient längst der Kultur, und zwar der Kneipen-, der
Kino- und der Konzertkultur. Eine Buchhandlung käme vermutlich schon deshalb
nicht rein, weil sie nicht mit einem K beginnt. Das Karlstor beginnt mit K,
passt aber von der Größe nicht, es darf dem Bahnhof bloß seinen Namen geben und
träumt ansonsten in der Einsamkeit einer Verkehrsinsel von den seligen Tagen,
als es noch auf Dampfloks und Pferdekutschen herabblickte.
    Ich wartete ein paar Minuten, doch der braune BMW kehrte
nicht zurück. Laut Banner über dem Bahnhofseingang sollte die Veranstaltung der
fünf Freunde um acht beginnen. In gut vier Stunden also. Vielleicht war jetzt
schon einer von ihnen vor Ort. Einzeln konnte man sich bestimmt besser mit
ihnen unterhalten. Ich stieß eine der Türen auf und trat ein.
    Durch einen langen, von Neonlicht erhellten Gang schallte
eine Lautsprecherstimme, unverständliche Silben formend. Sie war so verzerrt,
dass sie wie die eines Alien aus einem billigen SF-Horrorfilm klang.
    »Tikka«, sagte die Stimme immer wieder. »Tikka. Tikka.«
    Der Gang endete vor einer zur Hälfte offenen Doppeltür, die
in den Veranstaltungssaal des Karlstorbahnhofs führte. Die Stimme wurde lauter,
als ich mich näherte.
    »Tikka«, sagte die Stimme. Sie dehnte und presste das Wort,
zermalmte es nach allen Regeln der Kunst, schleuderte, rülpste es heraus, bis
man regelrecht Mitleid mit ihm bekam. Und dann, kleine Überraschung, folgte ein
tiefes, langgezogenes »Observatöööör«.
    Vorsichtig lugte ich durch den Spalt in den Saal. Vielleicht
handelte es sich um ein altes Essensritual der Aliens, das sie pflegten, bevor
sie einen Privatflic verputzten.
    Der Saal war komplett verdunkelt, nur die Bühnenmitte wurde
vom Licht eines surrenden Scheinwerfers erfasst. Dort saß einer der fünf Ölmühlen -Helden,
und zwar der mit der gebührenpflichtigen Brille, auf einem Barhocker, vor sich
ein Standmikro, das Sakko lässig über die Schultern gehängt.
    »Und?«, rief er in die Dunkelheit, eine Hand vor dem Mikro.
»Wie klingts?«
    »Observatör kommt gut«, schallte es vom anderen Ende des
Saales zurück. »Tikka nicht. Zu brav, zu verspielt. Mehr Dreck bitte, mehr
Kasernenhof.«
    Also noch mal Tikka. Der Typ auf der Bühne mühte sich, gab
alles, machte den Alien. Vergebens. Von Kasernenhof keine Spur.
    »Tikka tuts nicht«, schallte die Stimme aus der Finsternis.
»Versuchs mal mit Kalle.«
    »Mit Kalle? Kalle ist scheiße.«
    »Versuchs halt.«
    Nun war Kalle dran. Er wurde gerufen, beschworen, gezischt,
zerkaut, aber das Ergebnis klang nicht beeindruckender als bei Tikka. Ohne
ihren Observatör hätten die Jungs die abendliche Séance wohl absagen müssen.
    »Vergiss Kalle und mach weiter«, rief der Unsichtbare vom
rückwärtigen Saalende her. Wenn ich mich nicht täuschte, war es der Blonde mit
dem Seitenscheitel, der dort am Mischpult saß und seine Mitstreiter durch die
Untiefen der aktion trieb.
    »Okay«, nickte der Brillenheini und wischte sich den Schweiß
von der Stirn. Und dann begann er zu rappen: »Tikka, Kalle, Epitet. Kubist,
Kontra, Othello. Moll, Oboe, Rondo …« Er sang, er hüpfte, er schrie. Hinten, in
der Regieecke, drehte der Blonde die Regler hoch und runter, dass es eine
Freude war. Einen gewissen Respekt für die dargebotene Leistung konnte ich
nicht verhehlen. Ob sie allerdings auch nur ein Öre Eintrittsgeld wert war,
wagte ich zu bezweifeln.
    »Entschuldigung, kann ich mal durch?«, piepste es hinter mir.
    Ich wandte mich um und sah das Nesthäkchen der Truppe mit
seinem kurzgeschorenen Eierkopf vor mir. Schlagartig hatte sich der Anteil der
anwesenden Aktionisten auf 60 Prozent erhöht.
    »Tikka«, sagte ich.
    Der Benjamin schluckte, drehte sich um und gab Fersengeld.
Während der Flucht entglitt ihm der Packen Kopien, den er in der Hand trug,
flatterte durch den Gang und ließ sich in vielen 100 Exemplaren auf dem Boden
des Karlstorbahnhofs nieder. Ich bückte mich und hob eines der Papiere auf. › aktion
aesthetik ‹, stand ganz oben. Die Namen der Künstler darunter, mit Foto und
Kontaktdaten. Und ganz unten ihr Mantra: › so es die kunst verlangt, hat blut
zu flieszen ‹.
    ›Dein Wort in Gottes Ohr‹,

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