Schlussblende
das nicht, weil sie an die Spielregeln der Gesetze und des Rechts gebunden war und damit automatisch die schlechteren Karten hatte.
Er schüttelte mit einem bedauernden Lächeln den Kopf. »Ganz sicher. Keine von denen ist mir je unter die Augen gekommen.«
Shaz schob das Foto in der Mitte näher zu ihm hin. Sie verzog keine Miene, als sie sagte: »Sie haben im Fernsehen an Tiffany Thompson appelliert, sie möge ihre Eltern anrufen.«
»Mein Gott!« rief er aus, und diesmal gelang ihm das gemimte Staunen wieder perfekt. »Wissen Sie, daß ich das total vergessen hatte? Jetzt, wo Sie’s sagen – natürlich, Sie haben recht.«
Shaz hätte sich nicht so auf sein Gesicht konzentrieren dürfen. Er holte blitzschnell mit dem rechten Arm aus und schlug wuchtig mit der Prothese zu, dicht hinter ihrem Ohr. Er las Erschrecken in ihren Augen, dann kippte sie nach vorn und schlug mit dem Kopf auf der Fußstütze auf. Als sie seitlich wegrutschte und zu Boden fiel, war sie bereits ohnmächtig.
Vance verlor keine Zeit. Er rannte in den Keller, griff sich eine Rolle Lautsprecherkabel und ein Päckchen Latexhandschuhe und eilte nach oben. Minuten später lag Shaz verschnürt wie ein Paket auf dem Fußboden. Er rannte in den oberen Stock und fing an, in seinem Kleiderschrank zu wühlen, bis er den weichen Flanellbeutel gefunden hatte, in dem sie ihm im Geschäft den neuen ledernen Aktenkoffer verpackt hatten. Er rannte die Treppe hinunter, stülpte Shaz den Beutel über den Kopf und wickelte einige Längen Kabel darum. Fest genug, daß sie es spürte, und locker genug, daß sie atmen konnte. Sie sollte sterben, aber nicht gleich und nicht hier. Und nicht durch einen dummen Zufall.
Als er sicher war, daß sie sich nicht befreien konnte, griff er nach ihrer Schultertasche, dem Aktenordner und den Fotokopien, setzte sich damit auf das Sofa und unterzog alles einer sorfältigen Inspektion. Mit dem Aktenordner fing er an. Bei den nüchternen Polizeiprotokollen genügte es, wenn er sie einstweilen überflog, genauer konnte er sie später studieren. Die Analyse, die Shaz erarbeitet hatte, interessierte ihn mehr. Er las sie Wort für Wort und überlegte, wie gefährlich ihm die Presseausschnitte werden konnten, auf die sie in der Zusammenfassung verwies. Nicht sehr, entschied er. Für jeden, der auf einen Zusammenhang mit seinem Auftritt und dem Verschwinden eines Mädchens hinzudeuten schien, konnte er auf zwanzig andere verweisen, die belegten, daß er ungezählte Male bei Abendveranstaltungen aufgetreten war, ohne daß hinterher irgendein Teenager von zu Hause weggelaufen war. Als nächstes nahm er sich Shaz’ Systematische Täter-Checkliste vor. Die Schlußfolgerungen, die sie gezogen hatte, ärgerten ihn dermaßen, daß er aufsprang und die bewußtlose junge Frau ein paarmal kräftig in die Magengrube trat. »Woher willst du das wissen, du Schlampe?« schrie er wütend. Er bedauerte, daß er ihre Augen nicht sehen konnte. Die hätten ihn jetzt nicht mehr so kühl gemustert. O nein, die hätten um Gnade gebettelt.
Zornig legte er den Aktenordner weg. Das hatte Zeit, es gab Wichtigeres zu tun. Aber er hatte recht daran getan, diesen Alleingang einer kleinen Anfängerin im Keim zu ersticken, ehe irgend jemand auf die Schlußfolgerungen dieses Miststücks stieß. Er kippte ihre Umhängetasche auf dem Sofa aus und entdeckte das Notizbuch. Viel Interessantes fand er zunächst nicht, abgesehen von Mickys Mobiltelefonnummer und der Adresse in Holland Park. Da er nicht abstreiten konnte, daß Shaz hiergewesen war, hätte es wenig Sinn gemacht, die Seite herauszureißen. Statt dessen riß er ein paar Seiten hinter der letzten Eintragung heraus, so daß es aussah, als sei dort etwas eingetragen gewesen, was der Polizei möglicherweise Aufschlüsse über Shaz’ rätselhaftes Verschwinden gegeben hätte.
Danach nahm er sich den Mikrorecorder vor, dessen Band noch lief. Er drückte die Stopp-, dann die Rücklauftaste, nahm das Band heraus und legte es beiseite. Ein Taschenbuch – uninteressant, aber da war auch noch ihr Filofax. Unter dem Datum von heute fand er die Eintragung JV , 09.30. Vance überlegte kurz, dann schrieb er ein T darunter. So, nun sollten die Cops sich mal die Köpfe zerbrechen, was das wohl bedeutete. Und dann fand er in der Seitentasche das, wonach er suchte. Eine kurze Notiz: Hab’s gefunden. Mit Dank zurück an S. Bowman, Apartment 1, Hyde Park Hill, Headingley, Leeds. Meine Anerkennung. Er suchte die
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