Schlussblende
An den Fragen, die sie Jacko Vance gestellt hatte, mußte er gemerkt haben, daß sie ihn für den Serienmörder hielt. Dennoch war er, entgegen ihrer Erwartung, nicht in Panik geraten. Er mußte also irgendwie dahintergekommen sein, daß sie auf eigene Faust ermittelte. Und das wiederum mußte ihn zu dem Entschluß gebracht haben, sie aus dem Weg zu schaffen, damit er alle Spuren verwischen und, wenn es nötig wurde, das Land unbemerkt verlassen konnte.
Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Ihr Tod war besiegelt, das stand außer Frage. Sie mußte sterben, weil sie recht gehabt hatte. Die einzige Frage war, wann und wie.
P auline Doyle war verzweifelt. Die Polizei weigerte sich, einzusehen, daß Donnas Verschwinden eben nicht einer der vielen Fälle war, in denen Teenager von zu Hause wegliefen. Ein Polizist hatte ihr das ins Gesicht gesagt. »Sie wird wahrscheinlich nach London gefahren sein. In unserer Gegend nach ihr zu suchen hat überhaupt keinen Zweck.«
Pauline ahnte, warum die Polizei das so sah. Die mußten nur einen Blick auf das Foto werfen, um aus Donnas keckem, wissendem Lächeln zu schließen, daß das Mädchen bestimmt nicht so unschuldig war, wie ihre arme Mutter vermutete.
Da die Polizei Paulines Idee, das Foto im Fernsehen zu zeigen, als wenig erfolgversprechend abtat, wandte sie sich an die Lokalzeitung. Die zeigte sich ebenfalls nicht interessiert, abgesehen davon, daß die für die Frauenseite verantwortliche Redakteurin auf die Idee kam, ein Feature über weggelaufene Teenager zu schreiben. Was sie aber, nachdem sie Donnas Foto gesehen hatte, dann doch nicht tat. Irgendwas in Donnas Augen oder in der Art, die Lippen zu schürzen, ließ den Betrachter offenbar vermuten, das Mädchen sei viel weiter, als sie ihrem Alter nach sein sollte.
Nachdem sie nächtelang bitter geweint hatte, entschied Pauline, es sei an der Zeit, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ihre Stelle in einem Maklerbüro wurde nicht sonderlich gut bezahlt. Es hatte für die Miete, das Essen und die Kleidung gereicht, viel mehr war nicht dabei herausgesprungen. Aber es gab noch eine kleine Rücklage aus Bernards Lebensversicherung. Pauline hatte das Geld für die Zeit nach Donnas Schulabschluß aufheben wollen, weil sie wußte, daß es dann wegen der Studiengebühren und der Kosten für eine getrennte Haushaltsführung eng würde. Jetzt schien das Sparen sinnlos geworden zu sein, zumal sie nicht mal wußte, ob Donna je zurückkam. Besser, sie investierte das Geld in den Versuch, ihre Tochter ausfindig zu machen und nach Hause zurückzuholen. Was die Uni anging, da mußte sie zu gegebener Zeit eine andere Lösung finden.
Sie ließ bei einer örtlichen Druckerei tausend großformatige Flugblätter mit Donnas Foto drucken und darunter den Text setzen: » HABEN SIE DIESES MÄDCHEN GESEHEN ? Donna Doyle wird seit Donnerstag, dem 11. Oktober, vermißt. Sie wurde zuletzt morgens um Viertel nach acht auf dem Weg zur Glossop Girls Grammar gesehen. Sie trug die kastanienbraune Schuluniform, dazu schwarze Kickers, einen schwarzen Anorak und einen schwarzen Nike-Rucksack. Wenn Sie das Mädchen nach dem genannten Zeitpunkt gesehen haben, benachrichtigen Sie bitte Pauline Doyle …« Es folgten die Adresse in der Corunna Street und zwei Telefonnummern – die zu Hause und im Maklerbüro.
Pauline nahm eine Woche frei, um die Flugblätter in sämtliche Hausbriefkästen zu stopfen und jedem in die Hand zu drücken, der ihr auf der Straße begegnete und bereit war, sie anzunehmen. Sie war von frühmorgens bis spätabends auf den Beinen. Aber niemand rief an.
W ährend Shaz Bowman gefesselt auf dem harten Fußboden lag und an nichts anderes als den Schmerz und die lähmende Angst denken konnte, durchsuchte Jacko Vance ihre Wohnung. Er war in einer guten Zeit nach Leeds gefahren, mit nur einem Zwischenstopp, um aufzutanken und die Behindertentoilette aufzusuchen, weil er dort unbeobachtet das Tonband aus Shaz’ Mikrorecorder loswerden konnte. Die Plastikumhüllung hatte er schon auf dem Parkplatz vernichtet – ein paar Drehungen mit dem Schuh, den Rest besorgte der Wind, der die Splitter in die Midlands wehte.
Shaz’ Wohnung zu finden war kein Problem, sie hatte die genaue Lage entgegenkommenderweise auf einer Regionalkarte eingekreist. Er parkte den Wagen hinter der nächsten Kreuzung, zwang sich, das nervöse Zwicken im Magen nicht zu beachten, und ging gemächlich die Straße hinunter. Bis auf ein paar spielende Kinder
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