Schlussblende
jedenfalls nicht auf ihrem Laptop. Von dem hatte sie den Text also nicht ausgedruckt. Was nur bedeuten konnte, daß die Dateien anderswo gespeichert waren, wahrscheinlich auf der Festplatte eines Computers in der Dienststelle. Und an die kam er nicht ran. Seine einzige Hoffnung war, daß sie ihren Kollegen gegenüber nichts von ihrer Computerarbeit erwähnt hatte. Wie sie ja offensichtlich auch nichts davon erzählt hatte, daß sie ihm einen Besuch abstatten wollte.
So oder so, er konnte nichts anderes tun, als dafür zu sorgen, daß er hier in ihrer Wohnung keine Spuren zurückließ, und im übrigen darauf zu hoffen, daß die mit modernen Kommunikationssystemen wenig vertrauten Cops nicht auf die Idee kamen, den Dateimanager des Computers aufzurufen, den sie in ihrer Dienststelle benutzt hatte. Zumal ja niemand damit rechnete, daß die Bowman die Nase unaufgefordert in irgendwelche ungeklärten Fälle steckte. Also konnte eigentlich niemand vermuten, daß es irgendeinen Zusammenhang zwischen ihren derzeit auf die Teilnahme an einem Lehrgang begrenzten, dienstlichen Aufgaben und den Umständen ihres überaus bizarren Todes gäbe.
Aber was sollte er nun mit dem ganzen Zeug in ihrem Arbeitszimmer anfangen? Mitnehmen konnte er es nicht, das Risiko, auf dem Rückweg in eine Verkehrskontrolle zu geraten, war zu groß. Zumal mißtrauische Cops sich nach Mitternacht mit Vorliebe luxuriöse Autos herauspickten. Einfach liegenlassen konnte er es ebensowenig, das wäre ungefähr so gewesen, als hätte er selber mit dem Finger auf sich gezeigt.
Jacko Vance sang nicht mehr vor sich hin. Er kauerte sich in einer Ecke des Arbeitszimmers an die Wand und dachte fieberhaft nach. Verbrennen? Ausgeschlossen. Irgendeinem Nachbarn wäre mit Sicherheit aufgefallen, daß es verdächtig nach Rauch roch, und das mitten in der Nacht. Fehlte nur noch, daß die Feuerwehr anrückte. Die Toilette runterspülen konnte er den Aktenberg auch nicht, da wäre das Abflußrohr im Nu verstopft gewesen. Es sei denn, er zerriß jedes einzelne Blatt in klitzekleine Schnitzel. Aber das hätte bis zum Morgengrauen oder noch länger gedauert. Im Garten vergraben konnte er das Zeug ebenfalls nicht. Sobald die Leiche des heimtückischen Miststücks entdeckt worden war, fiel den Cops nichts Besseres ein, als in der Umgebung der Wohnung jeden Stein umzudrehen.
Also blieb ihm doch nichts anderes übrig, als das potentiell belastende Material mitzunehmen, sosehr er auch vor dem Gedanken zurückschreckte. Er mußte einfach darauf vertrauen, daß das Glück ihm treu blieb. Bisher war er immer vorsichtig gewesen und daher nie erwischt worden.
Er verstaute alles, was an Akten, Computerausdrucken und Notizen herumlag, in zwei Abfallbeutel und schleppte einen davon zu seinem Mercedes. Er ging steifbeinig, jeder Schritt fiel ihm schwer. Die Bowman hatte ihn immerhin um die fünfzehn, sechzehn Stunden in Atem gehalten, er war am Ende seiner physischen und psychischen Kraft. Er hatte bei der Arbeit noch nie Drogen genommen. Das trügerische Gefühl neuer Energie verleitete schnell zu Leichtsinn und zu nicht wiedergutzumachenden Nachlässigkeiten. Aber diesmal wünschte er, er hätte ein Tütchen Koks bei sich. Einige Linien Charlie hätten ihm bei den Aufgaben, die noch vor ihm lagen, Flügel verliehen. So aber blieb ihm, Gott sei’s geklagt, nichts anderes übrig, als sich müde und matt, mit letzter Kraft den grobkörnigen Kiesweg am Arsch von Leeds hinunterzuschleppen.
Mit erleichtertem Schnaufen warf er den zweiten Abfallbeutel in den Kofferraum. Er wollte gerade den Deckel zuschlagen, als ihm der seltsame Gestank auffiel. Er stutzte, beugte sich nach vorn und begann zu schnüffeln. Hatte die Schlampe doch tatsächlich in seinen Kofferraum gepinkelt. Nun mußte er auch noch sehen, daß er den Teppichbelag los wurde. Zum Glück war ihm inzwischen eine Lösung für all seine Probleme eingefallen. Mürrisch streifte er die Handschuhe und die Ärmelschoner ab und warf sie in den Kofferraum. Dann drückte er sanft den Deckel zu, murmelte »Lebwohl, DC Bowman« und ließ sich müde auf den Fahrersitz fallen. Die Uhr im Armaturenbrett zeigte ihm an, daß es beinahe halb drei war. Vorausgesetzt, daß er nicht von irgendeinem Cop angehalten wurde, konnte er sein Ziel bis halb fünf erreichen. Er durfte nur nicht den Fehler begehen, in seiner Ungeduld, so schnell wie möglich dort anzukommen, das Gaspedal voll durchzutreten. Die verschwitzte linke und die eiskalte rechte
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