Schlussblende
mal was Unvorhergesehenes passiert sein. Vielleicht irgendein Problem in der Familie?«
Simon verzog den Mundwinkel. »Könnte sein«, räumte er zögerlich ein, »nur, dann hätte sie einen von uns angerufen. Sie ist nicht nur gewissenhaft, sie ist besessen. Das wissen Sie genausogut wie ich.«
»Vielleicht hat sie einen Unfall gehabt?«
Genau das Stichwort, auf das Simon gewartet hatte. »Ja, das vermute ich auch. Darum mach ich mir ja Sorgen.«
Tony zuckte die Schultern. »Wenn’s ein Unfall war, werden wir’s sowieso erfahren. Entweder sie ruft an oder jemand anders.«
Simon knirschte lautlos mit den Zähnen. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, er mußte Tony irgendwie klarmachen, daß das Ganze etwas verzwickter war. »Wenn sie einen Unfall hatte, glaube ich nicht, daß das heute morgen war. Wir – ich meine Leon, Kay, Shaz und ich – waren Samstag abend verabredet, wir treffen uns da immer zum Essen. Und Shaz und ich wollten vorher noch einen Drink nehmen. Ich sollte sie zu Hause abholen.« Nachdem er die erste Hürde genommen hatte, fiel es ihm irgendwie leichter, und die nächsten Sätze sprudelten nur so aus ihm heraus. »Ich war also bei ihrer Wohnung, aber da hat sich nichts gerührt. Na, hab ich gedacht, sie hat sich’s wohl anders überlegt und ist schon weg oder so. Aber heute ist Montag, und sie ist immer noch nicht aufgetaucht. Da muß was passiert sein, und zwar etwas Ernstes. Sie könnte in der Dusche ausgerutscht und mit dem Kopf aufgeschlagen sein – oder was weiß ich. Oder sie liegt irgendwo im Krankenhaus, und kein Aas weiß, wer sie ist. Meinen Sie nicht auch, daß wir was unternehmen sollten? Wir sind doch ein Team – oder wie?«
Eine dunkle Vorahnung löste in Tony Alarm aus. Simon hatte recht. Jemand wie Shaz verschwand nicht zwei Tage von der Bildfläche, ohne etwas von sich hören zu lassen. Er stand auf. »Haben Sie mal bei ihr angerufen?«
»Weiß der Himmel, wie oft. Ihr Anrufbeantworter ist auch abgeschaltet. Darum habe ich ja an einen Unfall zu Hause gedacht. Ich meine: Sie kommt nach Hause, schaltet das Ding ab, und dann passiert was.« Er schnaufte. »Ich weiß, das klingt alles ziemlich albern. Ich komm mir vor wie ’n Teenager, der viel Wirbel um nichts macht.«
Tony legte ihm die Hand auf den Arm. »Nein, ich glaube, Sie haben die Nase, die ein guter Cop braucht. Der riecht es meilenweit, wenn’s irgendwo stinkt. Das ist einer der Gründe, warum Sie bei uns in der Gruppe sind. Kommen Sie, wir fahren zu Shaz’ Haus und sehen mal, ob wir irgendwas entdecken.«
Im Auto rutschte Simon vor Ungeduld unruhig auf dem Sitz hin und her. Tony merkte, daß es sinnlos gewesen wäre, ein Gespräch anfangen zu wollen. Bis auf ein paar knappe Anweisungen, wo er abbiegen müsse, kam kein Wort über Simons Lippen. Als sie vor dem Haus hielten, war Simon draußen, ehe Tony den Motor abstellen konnte. »Die Vorhänge sind immer noch zugezogen«, stellte er mit finsterer Miene fest, rannte die Stufen hoch und drückte auf die Klingel. Er und Tony hörten deutlich, daß sie anschlug.
»Mh«, meinte Tony, »die Klingel geht jedenfalls.«
Simon ließ den Klingelknopf los. »Wir könnten vom Garten aus an die Wohnung rankommen«, sagte er und war im nächsten Moment auf dem schmalen Pfad, der ums Haus herum zum Gartentor führte. Tony ging ihm nach, aber zu langsam. Er war erst am Tor, als er Simon aufheulen hörte wie einen verletzten Wolf, und sah, wie der junge Polizist auf die Knie sank und sich würgend übergab. Irgend etwas mußte ihn furchtbar geschockt haben.
Und als er vor dem Sprossenfenster stand, sich vorbeugte und einen Blick nach innen warf, war ihm alles klar. Sein Magen erstarrte zu einem Eisklumpen. Was er durch die Scheiben sah, erinnerte auf den ersten Blick mehr an die stümperhafte Kopie eines Stillebens von einem rohen Schinken als an das blutige Werk eines psychopathischen Mörders. Einen Augenblick lang konnte er nur fassungslos in das Zimmer starren.
Er hatte schon viele verstümmelte Leichen gesehen, aber noch nie war ein Mordopfer, das ihm persönlich nahe gestanden hatte, so grauenhaft zugerichtet gewesen. Er fuhr sich mit den Fingern über die Augenbrauen. Jetzt war nicht die Zeit, sich der Trauer hinzugeben. Es gab sicher viele Dinge, die er – und nur er – für Shaz Bowman tun konnte, aber Jammern und Klagen gehörten nicht dazu.
Er atmete tief ein und drehte sich zu Simon um. »Geben Sie das an die Kripo durch. Dann sichern Sie vor dem
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