Schlussblende
Hand auf dem Lenkrad, fuhr er Richtung Norden.
Er schaffte es zehn Minuten unter der geschätzten Zeit. Der technische Gebäudetrakt der Royal Newcastle Kliniken lag, wie an einem Sonntagmorgen nicht anders zu erwarten, verlassen da, die Tagesschicht des Wochenend-Notdienstes rückte erst um sechs an. Vance lenkte den Mercedes in eine Parknische neben dem Tor, das zur Verbrennungsanlage der Kliniken führte. Er kam, wenn er mit seiner Arbeit als freiwilliger Hilfspfleger fertig war, oft auf einen Sprung hierher, um mit den Männern, die die Schmutzarbeit der Abfallbeseitigung verrichteten, einen Kaffee zu trinken und zu plaudern. Die fühlten sich natürlich geehrt, daß ein berühmter Mann wie Jacko Vance sich so umgänglich zeigte, und hatten ihm sogar eine der Plastikkarten besorgt, die zum Betreten des technischen Trakts berechtigte. Und daß er sich nicht zu fein war, mitunter selbst Hand anzulegen und eigenhändig die unappetitlichen Beutel mit widerlichen medizinischen Abfällen ins Feuer zu werfen, rechneten sie ihm hoch an. Der Gedanke, daß er ab und zu auch einen Beutel mit hineinwarf, an dessen Beseitigung ihm – und nur ihm – gelegen war, wäre ihnen nie gekommen.
Einer der vielen Gründe, deretwegen er nicht befürchtete, je erwischt zu werden. Er war kein Fred West, der seine Leichen im Fundament seines Hauses einbetonierte. Wenn er sich mit seinen Opfern vergnügt hatte, verschwand das, was von ihnen übrig war, auf Nimmerwiedersehen in der höllischen Hitze der Verbrennungsanlage des RNI . Gemessen an den Abfallbergen, die in den Kliniken tagtäglich anfielen, waren die beiden Beutel mit den Unterlagen der Bowman eine Kleinigkeit.
Nach zwanzig Minuten war er wieder draußen am Wagen. Und nun war das Ende der Aktion endlich abzusehen. Er freute sich schon darauf, sich auf das Bett fallen zu lassen, auf dem er am liebsten lag, und dort, wo er gewöhnlich seinen mörderischen Gelüsten frönte, den Schlaf des Gerechten zu schlafen.
[home]
TEIL ZWEI
W eiß jemand, wo die Bowman steckt?« Paul Bishop sah zum fünften Mal in den letzten beiden Minuten auf die Uhr. Fünf ahnungslose Augenpaare starrten zurück.
»Muß wohl tot sein«, meinte Leon grinsend. »Unser Shazza-Baby kommt nie zu spät.«
»Haha, Jackson«, erwiderte Bishop sarkastisch. »Würden Sie sich freundlicherweise die Mühe machen, unten beim Empfang nachzufragen, ob der Officer vom Dienst etwas von ihr gehört hat?«
Leon, der wie üblich auf zwei Stuhlbeinen geschaukelt hatte, ließ den Stuhl nach vorn kippen und bewegte sich ohne Hast auf die Tür zu. Bishop trommelte mit den Fingern auf der Fernbedienung des Videogeräts herum. Wenn er nicht bald anfangen konnte, geriet der ganze Zeitplan aus den Fugen. Er wollte dem Kurs einige Tatort-Videos zeigen, aber damit mußte er bis mittags fertig sein, weil er zum Lunch mit einem hohen Tier aus dem Innenministerium verabredet war. Warum mußte Shaz sich ausgerechnet heute verspäten? Er beschloß abzuwarten, was Jackson in Erfahrung brachte, und dann notfalls ohne sie anzufangen. Ihre eigene Schuld, wenn sie etwas Wichtiges verpaßte.
Simon fragte Kay leise: »Hast du was von ihr gehört? Die ist seit Freitag wie vom Erdboden verschwunden.«
Kay fielen, als sie den Kopf schüttelte, ein paar Strähnen ihres weichen Haars ins Gesicht, was ihr plötzlich Ähnlichkeit mit einer Feldmaus gab, die zwischen Grashalmen hervorspitzt. »Ich wollte bei ihr anrufen, weil sie nicht zu unserm Curryabend gekommen ist. Hab mich auf dem Anrufbeantworter erkundigt, was los ist. Aber sie hat mich nicht zurückgerufen. Und gestern abend beim Frauenschwimmen war sie auch nicht. Obwohl, da waren wir nicht fest verabredet oder so was.«
Die Tür flog auf, Leon war zurück und berichtete: »Hat keinen Pieps von sich hören lassen. Sich nicht krank gemeldet und nichts.«
Bishop verzog unwillig das Gesicht. »Na gut, dann fangen wir ohne sie an.«
Bishops Videobilder, sosehr sie auch Zeugnis von unglaublicher Gewalt und Grausamkeit gaben, huschten an Simon vorbei. Er beteiligte sich auch kaum an der anschließenden Diskussion, was freilich nicht am Thema, sondern daran lag, daß er ständig grübelte, was wohl mit Shaz los sein könnte. Sie hatte ihn am Samstag abend glatt sitzenlassen, als er sie zu Hause zu dem verabredeten Drink vor dem gemeinsamen Abendessen abholen wollte. Er hatte einige Male geklingelt, dann angenommen, daß sie, weil er etwas früh dran war, möglicherweise noch unter der
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