Schlussblende
ärgern. Sein vorherrschendes Gefühl mußte Genugtuung sein. Genugtuung über die exzellente Arbeit, die er geleistet hatte.
Da sitzt Little Jack
Ganz still in sei’m Eck
Und denkt sich: den Pflaumenkuchen,
Den werd’ ich jetzt schnell mal versuchen.
Und er bohrt mit dem Däumchen
Ein hellblaues Pfläumchen
Aus dem Kuchen heraus
Und denkt: ei der Daus,
Das war mal ein lustiger Gag.
Er kicherte leise in sich hinein. Genauso hatte er Shaz Bowman mit dem Daumen die leuchtendblauen Pfläumchen ihrer Augen herausgebohrt und gespürt, wie ihr lautloser Schrei im Kern seines Ich vibrierte. Es war leichter gewesen, als er geglaubt hatte. Verblüffend, wie einfach sich ein Auge aus der Verankerung lösen läßt.
Schade nur, daß es ihm nicht vergönnt gewesen war, den Ausdruck dieser Augen zu sehen, als er ihr die Ohren abgeschnitten und die Säure eingeflößt hatte. Er rechnete nicht damit, daß er in nächster Zeit irgend jemanden einer ähnlichen Behandlung unterziehen mußte, aber für alle Fälle nahm er sich schon jetzt vor, sorgfältiger auf die richtige Reihenfolge zu achten.
Und so stellte sich, als er das Band zurücklaufen ließ, nun doch die angemessene Genugtuung ein.
Wenn Micky, was ihre morgendliche Routine anging, nicht so unerbittlich streng mit sich selbst gewesen wäre, hätte sie vielleicht im Radio oder Fernsehen etwas über Shaz’ Tod erfahren. Aber sie hatte es sich nun mal zur Regel gemacht, die Neuigkeiten, die die Welt bewegten, erst zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie im Büro saß. Sie frühstückte lieber bei Musik von Mozart und fuhr bei Wagnerklängen ins Studio. Und da sie und Betsy dort schon frühmorgens sein mußten, also gewöhnlich vor den Spätnachrichten schlafen gingen, waren die Morgenzeitungen ihre erste Nachrichtenquelle.
Betsy war’s, die Shaz’ Foto im
Daily Mail
entdeckte. Druckerschwärze verwischte den Glanz der blauen Augen, dennoch mußten diese Augen jeden Leser sofort in ihren Bann ziehen. »Mein Gott«, hauchte Betsy, ließ sich in den Schreibtischsessel fallen und starrte auf die Titelseite.
Micky hängte ihr Jackett auf den Bügel, prüfte kritisch, ob es auch keine Falten abbekommen hatte, und erkundigte sich beiläufig: »Was gibt’s?«
»Schau dir das an.« Betsy schob ihr die Zeitung hin. »Ist das nicht die Polizistin, die am Samstag bei uns war?«
Mickys Blick fiel auf die Schlagzeile. ABGESCHLACHTET , stand da. Darunter das Foto einer lächelnden Shaz Bowman mit der Uniformmütze der Metropolitan Police. Sie nahm in einem der Besuchersessel Platz und las den Artikel, eine Mischung aus Nachruf und Sensationsbericht. Einzelne Wörter wie »entsetzliches Blutbad«, »Horrorszenario« und »unglaubliche Brutalität« sprangen sie an. Sie spürte, wie ihr Magen zu rebellieren begann.
Ihr Beruf hatte sie an Kriegs- und Bürgerkriegsschauplätze geführt, an Orte, die Zeugnis gaben von grauenhaften Massakern oder persönlichen Tragödien, und doch hatte keine der Katastrophen, über die sie berichten mußte, sie so aufgewühlt wie diese Sache mit Shaz Bowman. Es traf sie wie ein Schock, weil es ihr auf unerklärliche Weise irgendwie persönlich vorkam.
»O mein Gott«, sagte sie. »Sie war am Samstag vormittag bei uns, kurz bevor wir das Haus verlassen haben. Dem Zeitungsartikel nach geht die Polizei davon aus, daß sie zwischen dem späten Samstag abend und dem frühen Sonntag morgen ermordet wurde. Wir reden mit ihr, und ein paar Stunden später ist sie tot. Was unternehmen wir jetzt, Bets?«
Betsy kam um den Schreibtisch herum, kauerte sich neben ihre Freundin und legte ihr die Hand aufs Knie. »Gar nichts. Das ist nicht unsere Sache. Sie wollte zu Jacko, nicht zu uns. Mit uns hatte sie gar nichts zu tun.«
Micky sah sie entsetzt an. »Wir können doch nicht gar nichts tun. Sie muß ihrem Mörder begegnet sein, kurz nachdem sie das Haus verlassen hat. Das können wir doch nicht einfach auf sich beruhen lassen. Es wäre doch immerhin ein Anhaltspunkt für die Polizei, wenn wir ihr sagen, daß und wann sie da war und daß sie das Haus …«
»Liebling, atme ruhig durch und denk darüber nach, was du sagst«, fiel Betsy ihr ins Wort. »Sie ist nicht irgendein Mordopfer, sie war Police Officer. Da geben ihre Kollegen sich kaum mit so einer allgemeinen Aussage zufrieden. Sie werden unser Leben gründlich durchleuchten, und wir wissen beide, daß dabei viel Staub aufgewirbelt werden kann. Laß das Ganze Jackos Sache sein. Ich werd ihn anrufen
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