Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)
respektvoll, halb spöttisch, mein Vater sei wie Dagobert Duck, er werde nie müde, Geld zu verdienen, aber er gebe es nicht aus.
Dabei hatten meine Eltern einfach gar keine Zeit, viel auszugeben. Wirklich geizig war mein Vater keineswegs, dafür hat ihm das Geld einfach zu wenig bedeutet, und zur rechten Zeit war er sehr großzügig. Er hatte gern Gäste und hat sie immer gut bewirtet, er richtete oft Feste aus. Und er war freigebig, wenn Not am Mann war, wenn jemand irgendeine Art von Unterstützung oder schlicht tausend Mark brauchte. Für die Verwandtschaft war er ein großer Bruder. Oft riefen auch Freunde oder Angehörige aus der Türkei an, in der Regel zu später Stunde, weil die Hitze in Isparta den Tagesrhythmus in die Nacht verlegt und mein Vater früher am Abend sowieso schwer zu erreichen war, und häufig baten sie um Geld: Ein Dorfbrunnen sollte gebaut werden, ob er etwas beisteuern könne? Die kleine Nachbarstochter muss ins Krankenhaus, ob er nicht etwas spenden wolle? Wenn ein Landsmann eine teure deutsche Anwaltsrechnung nicht begleichen konnte, sprang mein Vater ein. Wenn eine Familie umzog, lieh er ihnen seinen Lkw. Die Verhältnisse, wegen derer meine Eltern nach Deutschland gegangen waren, haben sich seither nicht groß verändert. Die Brüder meines Vaters in der Türkei hatten nicht genug, um ihren Söhnen eine höhere Schulbildung zu bezahlen, also schickte mein Vater Bares oder sandte das Schulgeld gleich direkt an den Schulleiter. Abwarten, zögern, das war nicht sein Stil. Mein Vater handelte, er brachte Dinge in Bewegung, statt ewig hin und her zu überlegen. Und einmal hätte er fast zu viel des Guten getan. 1997 hätte er für einen Verwandten aus der Türkei beinahe eine Scheinehe arrangiert, um ihm eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu verschaffen. Er wollte helfen, hatte sogar schon eine junge Frau gefunden, die den Mann geheiratet hätte. Der hat es sich dann aber doch anders überlegt und kam nicht nach Deutschland. Zum Glück, denn dieses Arrangement entsprach so gar nicht seiner Art, er hätte es später, nach seiner Mekkareise, bestimmt bereut.
Er trug Verantwortung für uns, er trug Verantwortung für die Verwandtschaft in Salur und für viele Leute in Schlüchtern, denen er Arbeit gab und vorlebte, dass sich in der neuen Heimat etwas aufbauen ließ. Wem er Geld lieh, dem schaute mein Vater dann allerdings auch genau auf die Finger. Einem Verwandten hatte er einmal fünfundzwanzigtausend Mark Startkapital vorgestreckt, damit er ein Geschäft für Telefone und Zubehör aufmachen konnte. Ein paar Wochen später erfuhr mein Vater, dieser Verwandte wolle Urlaub in der Türkei machen. Es gab ein Donnerwetter, denn er konnte nicht begreifen, wie jemand, der gerade mit geliehenem Geld einen Laden eröffnete, auf Reisen gehen konnte.
Wenn ihn jemand fragte, weshalb er derartig fleißig und sparsam sei, antwortete er, er arbeite nur für seine Kinder. Und er arbeitete nicht nur selbst, er hatte bald genug Geld, um es anzulegen und arbeiten zu lassen. Abends saß er nun oft vor dem Fernseher, um am Teletext die Aktienkurse zu verfolgen. Mehr als dreihunderttausend Mark hatte er auf die eine oder andere Art investiert. In Kreditbriefe bei der türkischen Zentralbank etwa. Einem Vertrauensmann gab er einen fünfstelligen Betrag mit der Bitte, an der Börse mehr daraus zu machen. Und er entschied sich für eine Anlageform, die seinerzeit bei vielen Türken in Deutschland hoch im Kurs stand, auch wenn sie sonst kaum bekannt war: muslimische Holdings. Ende der neunziger Jahre tauchten in den Moscheen Vertreter auf, die dafür warben. Sie versprachen nicht nur sagenhafte Gewinne, sondern appellierten an den Patriotismus der Auslandstürken mit dem Argument, das Geld werde den Fortschritt in der Heimat ankurbeln und dem Aufbau türkischer Unternehmen helfen. Und sie führten den Propheten Mohammed an. Denn wer Zinsen nimmt, so lehrt es der Koran, der wird am Tag des Gerichts dastehen wie einer, «der vom Satan erfasst und geschlagen ist». In eine türkische Holding Geld einzuzahlen und von anfallenden Gewinnen zu profitieren, sei hingegen erlaubt, erklärten die Vertreter. In den Moscheen kursierten Geschichten, dass einige Investoren bereits Tausende von Mark an Rendite erhalten hätten. Das Modell schien den meisten vertrauenerweckend und sicher. Das Geld floss von Muslimen an Muslime, und ein Muslim würde einen anderen nicht übers Ohr hauen. Wie viele andere
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