Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)
Auslandstürken hat auch mein Vater eine Menge Geld in diese Holdings gesteckt. Von diesen Investitionen ist nichts geblieben, die Holdings sind alle pleitegegangen. Zum Glück war mein Vater klug genug, nicht alles auf eine Karte zu setzen. Einen großen Teil der Ersparnisse hat er in Häuser investiert. Durch die kleine Genossenschaft hat er nicht nur eines, sondern drei Häuser in der Türkei gebaut, eines in Salur, zwei in Isparta.
Diese Häuser waren das Ziel seiner Sehnsucht, dort hätte er selbst irgendwann wohnen wollen. Und weil er stets wusste, dass er eines Tages heimkehren würde, hat mein Vater sich nicht wirklich voll integriert in Deutschland. Er hat viel Zeit mit seinen Verwandten verbracht, war mit Türken zusammen und ging in die Moschee. Das finde ich auch sehr nachvollziehbar. Würde ein Deutscher, der nach Antalya auswandert, sein Kind nicht auch in einen deutschen Kindergarten geben, wenn es einen gäbe? Wenn ein Deutscher in der Türkei ein Haus bauen wollte, dann würde er vermutlich ebenfalls in eine Gegend gehen, in der schon andere Deutsche leben. Die meisten Menschen, egal woher, würden sich nicht anders verhalten als meine Eltern. Und es war nicht so, dass mein Vater keinen persönlichen Kontakt zu Deutschen gehabt hätte. Einer seiner ersten Freunde in Friedberg war der Blumenhändler Manfred. Er hat Vater bei seinen ersten Schritten im Blumengeschäft geholfen und damit seinem Leben die entscheidende Wendung gegeben. Auch in der Firma gab es deutsche Angestellte, ja Freunde, und alle Floristinnen in unserem Laden waren Deutsche. Im Grunde hatte mein Vater einfach zu wenig Zeit, um Kontakte zu pflegen – er hatte ja häufig nicht mal freie Stunden, um mit seinen türkischen Freunden zusammen zu sein.
Der Ausrutscher am Spieltisch hatte ein Nachspiel. Die Geschichte hat meine Mutter, als sie davon erfuhr, gehörig beunruhigt, und sie wollte Vorsorge treffen. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie sich jemals nicht durchgesetzt hätte, wenn ihr eine Sache wirklich wichtig war. So auch in diesem Fall. Meine Mutter war schon immer die Gläubigere, und es war schon länger ihr Wunsch, einmal nach Mekka zu gehen. Sie sagte, sie wolle das machen, solange sie noch einigermaßen jung wäre, später sei es zu anstrengend, auf Berge zu klettern und stundenlang bei fünfzig Grad in der Sonne herumzustehen. Sie wollte also nach Mekka, und mein Vater war davon zunächst nicht so begeistert. Sicher, die fünf Säulen des Islam, die fünf Pflichten des Gläubigen waren auch für ihn eine Orientierung, und an drei davon hielt er sich. Er bekannte seinen Glauben – ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott gibt und dass Mohammed der Gesandte Gottes ist. Er wurde dem Gebot der Wohltätigkeit gerecht – hilf den Bedürftigen, gib den Armen, teile. Er fastete – im Ramadan übt sich der Gläubige im Verzicht, von Beginn der Morgendämmerung an bis zum vollendeten Sonnenuntergang.
Eine weitere Säule ist das Gebet. Fünfmal am Tag richtet der Gläubige sich nach Mekka und damit auf seinen Glauben hin aus, vor Sonnenaufgang, mittags, nachmittags, bei Sonnenuntergang und bei Einbruch der Nacht. Diese Gebete lassen sich nicht achtlos herunterleiern, man muss sich in die Andacht versenken, sich wirklich einlassen auf die Ehrfurcht vor Gott. Mein Vater betete nicht regelmäßig. Seine Religion praktisch auszuüben und die ganze Tagesstruktur davon durchdringen zu lassen, stand ihm zu dieser Zeit eher fern.
Die Pilgerfahrt nach Mekka ist die fünfte Säule des Islam. Nach Mekka – das Thema war immer wieder mal aufgekommen, aber nun begann meine Mutter zu drängen. Mein Vater hat anfangs gezweifelt, ob er nicht zu jung für diese Reise ist und reif genug. Die Pilgerfahrt ist keine folkloristische oder touristische Unternehmung, keine unverbindliche Tour, sie ist auch eine Strapaze. Wochenlang setzt der Pilger sich anstrengenden Exerzitien aus, legt weite Wegstrecken zurück, besteigt Berge, harrt Stunden über Stunden in brütender Hitze aus, um Gott zu ehren und um in sich selbst hineinzuhorchen. Der Hadsch, sagen die Prediger, sei eine Prüfung, die dem Pilger Plagen auferlege und ihn in lodernden Feuern zergehen lasse – und das stimmt schon im Hinblick auf die äußeren Umstände. Aber natürlich geht es um Tieferes.
Die Männer sind gekleidet in Tücher ohne Saum, ohne Farbe, ohne Nähte. Diese weißen Stoffe verraten nichts über den Beruf und sozialen Status des Pilgers, nicht, ob er arm
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