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Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)

Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)

Titel: Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Semiya Simsek , Peter Schwarz
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gewandt hatte, brachten diese die deutschen Beamten auf den Verdacht, dass womöglich Faschisten, Rechtsradikale hinter den Morden stecken könnten. Genauer gesagt, türkische Faschisten, türkische Rechtsradikale. Vielleicht ging es um interne Abrechnungen im schwer durchschaubaren Milieu aus Untergrundpolitik und Organisierter Kriminalität, großtürkischen Ideologien und Drogenhandel?
    Kollegen aus Fulda stellten den Nürnberger Ermittlern einen Kontakt her, der tief in diese Szene führen sollte. Das erste Treffen fand in einem Café, auf neutralem Terrain statt. Dort erwarteten die Beamten den Informanten. Ein seltsamer Alter war es, der da zur Tür hereinwankte. Ungeschlachte Bewegungen, schlieriger Blick, geplatzte Adern auf der Nase. Um die sechzig Jahre alt mochte er sein. Er hatte einen jungen Vertrauten dabei, der gleich das Gespräch an sich riss: Er arbeite manchmal auch für die Polizei, behauptete er, aber das sei geheim.
    Die Beamten gingen auf das ungereimte Geschwätz nicht ein. Der Junge störte nur mit seinen Aufschneidereien, aber der Alte schien interessant und war eine zweite, ungestörte Befragung wert. Denn den wenigen Sätzen, die er gesagt hatte, ließ sich entnehmen, dass er Enver Simsek kannte. Und er murmelte etwas von den Grauen Wölfen.
    Graue Wölfe nennen sich die militanten, paramilitärischen Aktivisten der MHP, der Milliyetci Hareket Partisi, der rechtsextremen «Partei der Nationalistischen Bewegung». Sie träumen von einer pantürkischen Großnation, die sich vom Balkan bis nach China erstrecken soll, und sie kultivieren eine ganze Reihe von Feindschaften: Hass gegen Juden, gegen Amerikaner, gegen Kurden, gegen christliche Überfremdung. Mehmet Ali Agca, der 1981 auf Papst Johannes Paul II. schoss, hatte den Grauen Wölfen nahegestanden. In den siebziger Jahren verübten deren Kommandos eine Vielzahl politischer Morde. Ihre schlimmsten Feinde sind die Marxisten der PKK, der Arbeiterpartei Kurdistans, die je nach Sichtweise politische Kämpfer für einen unabhängigen Kurdenstaat oder eine terroristische Organisation sind. Eines haben die Grauen Wölfe und die PKK allerdings gemeinsam. Nach Auffassung von Experten finanzieren beide ihre Pläne unter anderem mit Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Geldwäsche. In den siebziger und achtziger Jahren war die MHP in ihrem Kampf gegen die PKK fast so etwas wie ein verlängerter Arm der türkischen Regierung gewesen. Später war die Partei phasenweise verboten, aber selbst da gelangten einzelne ihrer Mitglieder an Schaltstellen in Armee und Verwaltung. Als Tiefen Staat bezeichnet man das Labyrinth aus Verbindungen zwischen wichtigen Köpfen der nationalistischen Szene, des Geheimdienstes, der Polizei, der Justiz und des Organisierten Verbrechens. War dies das düstere Panorama, vor dem die Mordserie deutbar wurde?
    Der Alte lebte in einem Betonblock, einem von fünfzehn oder zwanzig Wohnklötzen in einer Fuldaer Siedlung. Es war etwa zehn Uhr morgens, als die Ermittler bei ihm läuteten. Eine enge, heruntergekommene Wohnung. Ein Geruch nach was auch immer stand im Flur. Der Alte schleppte sich voran ins Wohnzimmer. Er könne nicht mehr richtig laufen, sagte er, Lähmung nach einem Schlaganfall. Es war nicht leicht zu verstehen, was er vor sich hin brummelte, offenbar hatte auch sein Artikulationsvermögen gelitten. Sie waren zu dritt gekommen, zwei Polizisten samt einem türkischstämmigen Kollegen als Übersetzer. Der schaute oft so ratlos drein wie seine Begleiter, denn der Alte nuschelte nicht nur, er sprach auch in Rätseln, redete wild durcheinander, kaum schien sich eine zeitliche Abfolge und Logik abzuzeichnen, vollführte seine Erzählung auch schon wieder einen bizarren Sprung. Was stimmte in diesen Geschichten? Und was war hier Phantasmagorie? Früher, erklärte der Mann, habe er gesoffen, eine Flasche Anisschnaps am Tag. Jetzt kiffe er bloß noch. Früher, da sei er viel rumgekommen, habe Mitglieder geworben für seinen Verein.
    Seinen Verein?
    Er habe in Fulda das Vereinsheim gebaut, ja, er habe das geschaffen und möglich gemacht.
    Welches Vereinsheim?
    Hochgestellte Persönlichkeiten seien zur Einweihung erschienen, bedeutende Leute. Aber er dürfe keine Namen nennen. In Fulda sei er der Boss gewesen, pries der Alte sich.
    Der Boss?
    Einstimmig sei er gewählt worden. Einstimmig! Der Boss von Fulda, früher, vor dem Schlaganfall, bei seinem Verein. Der MHP.
    MHP, die Grauen Wölfe. Die Ermittler sahen einander

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