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Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)

Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)

Titel: Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Semiya Simsek , Peter Schwarz
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Beamte studierte den zeitlichen Ablauf. Verhaftet wurde Yildirim am 27. Oktober 1997, demnach hätte der Transport irgendwann zwischen Ende August und Ende September stattgefunden. Und Enver Simsek hatte seinen Lkw, das ließ sich leicht herausfinden, laut Kaufvertrag am 12. September 1997 erworben. Auf einmal blieb nur noch ein verdammt schmaler Zeitkorridor übrig. Aber gut, möglich wäre es. Der Beamte forschte weiter.
    Simsek, so hatte Yildirim es geschildert, ging mit dem Streckmittel in den Laderaum und packte die Tasche in eine Schublade. Das Regal mit der Lade habe an der rechten Wand gestanden.
    Dazu gab es in den Akten einen ausführlichen Vermerk. Bereits drei Tage nach den Schüssen auf Enver Simsek, am 13. September 2000, hatte sich ein Polizist den Lkw angeschaut und einen sorgfältigen Bericht über den Laderaum verfasst. Dort fand er Pappschachteln, Plastikkisten, eine Kühlanlage und zwei Stahlregale. Allerdings nicht rechts, sondern an der Stirnseite des Laderaums, zum Fahrerhäuschen hin. Und nicht die Spur einer Schublade, nirgends.
    Dabei hatte Yildirim doch eingängig erzählt, wie sie dieses Fach mit Deo vollstanken, um die Drogenhunde zu verwirren! Das war ein erster augenfälliger, Yildirims Glaubwürdigkeit ins Zwielicht rückender Widerspruch. Er hätte jedem Polizisten, der die Akten gelesen hätte, bereits vor fünf Jahren ins Auge stechen können.
    Weiter, zur Rückfahrt im Lastwagen: Simsek saß am Steuer, hatte Yildirim beschrieben, er selbst am Fenster, jener Ersin saß zwischen ihnen, in der Mitte. Nur gab es in diesem Lkw keinen mittleren Sitz. Es gab einen rechten und einen linken, aber dazwischen nichts als eine Mittelkonsole mit Gangschaltung. Das ließ sich durch einen einzigen Anruf beim Fahrzeughersteller ermitteln, und auch dieser zweite Widerspruch hätte der Polizei bereits fünf Jahre zuvor auffallen können. Je tiefer der Polizist in Yildirims Geschichte einstieg, desto windiger wurde sie.
    «Simsek Blumen», hatte Yildirim in der Vernehmung zu Protokoll gegeben, das hätte in roten Druckbuchstaben links, rechts und hinten auf dem Kastenaufbau des Lastwagens gestanden. Genau so habe der Wagen ausgesehen, hatte Yildirim erklärt, als man ihm Fotos davon vorlegte. Dieser Schriftzug allerdings, wie sowohl Zeugen als auch Unterlagen bestätigten, war erst im Lauf des Jahres 1999 auf dem Wagen angebracht worden. Fast zwei Jahre nach der angeblichen Fahrt.
    Es gab also nun drei Probleme in Yildirims Bericht. Eine Schublade, die nicht existierte; eine Lkw-Aufschrift auf rätselhafter Zeitreise; und einen – im Übrigen nie identifizierten – Drogendealer, der während einer stundenlangen Lastwagenfahrt von Rotterdam bis Frankfurt auf der Mittelkonsole ausgeharrt hatte, mit dem Schaltknüppel im Hintern. Drei Probleme? Yildirims Erzählung war ein einziges Problem.
    Vielleicht hatte der Kerl, um den Ermittlern ihren sehnlichen Wunsch nach Informationen zum Mordfall Simsek erfüllen zu können, einfach Gerüchte, Dealergarn, Knasttratsch weitergegeben. Sich hier etwas zusammengereimt, da etwas hinzufabuliert und auf diese Weise ein Mosaik aus Wahrheitsscherben und Erfundenem zusammengefügt. Wahrscheinlich war die ganze Geschichte erstunken und erlogen. So oder so war sie typisch für diesen vermaledeiten Fall: Was immer die Ermittler anfassten, es zerfiel ihnen unter den Fingern.
    Es gab einen Drogenboss, den die Ermittler aus dem Bereich Organisierte Kriminalität schon länger auf dem Radar hatten. Der Mann war auch als Schutzgelderpresser bekannt, im September 2000 war er verhaftet worden. Drei seiner damaligen Mitarbeiter wurden in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen, nach dem Motto: Ihr packt aus, wir helfen euch. Die drei berichteten, ihr Boss habe im großen Stil Drogen hin und her geschoben, zwischen Rumänien und Deutschland, Holland und der Türkei. Die Ermittler legten ihnen Fotos vor, und einer deutete auf das Bild Enver Simseks: Den kenne er, der sei in einem Spielclub in Frankfurt gewesen, zwei Männer hätten ihn hereingeführt, der Boss habe mit ihm geredet. Der Typ habe ängstlich gewirkt, und am Ende habe er dem Boss noch die Hand geben wollen, aber der habe nur mit einer Geste gegrüßt und später erklärt, der Kerl sei Dreck.
    Die Aussage erwies sich als Luftnummer.
    Ein anderer Mann, der in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden wollte, erklärte: Simsek hatte hohe Spielschulden. Ein türkischer Blumenhändler aus den Niederlanden half ihm

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